Im deutschen Sprachgebrauch können mit Beschneidung bzw. mit dem Verb beschneiden sowohl ganz allgemein Formen des Stutzens und Einschränkens als auch jene Praxen bezeichnet werden, die genitalverändernde Eingriffe, geschlechtsspezifische und -vereinheitlichende Körpernormierungen umfassen. Bei Letzteren sind medizinisch indizierte und medizinisch nicht indizierte, z. B. religiöse, auf Traditionen beruhende sowie kosmetische Beweggründe zu unterscheiden. Da die Motive, Durchführungsweisen und gesellschaftlichen Verankerungen von Beschneidungspraxen sehr komplex und heterogen sind, lassen sie sich nur im Rahmen historischer, regionaler und kultureller Kontextualisierungen umfassend verstehen. [1]
Häufig wird der Begriff zur Bezeichnung religiös motivierter Vorhautbeschneidung bei Jungen (Zirkumzision) oder weiblicher Genitalbeschneidung (engl.: female genital cutting, FGC) genutzt. Beide werden vor allem christlichen, islamischen und jüdischen Traditionen zugeordnet, wobei Ursprung, Anlass und Vorgehensweise divers sind (vgl. Alabay, 2012, S. 135; Gollaher, 2002, S. 19). Es wird angenommen, dass etwa 33% der männlichen Weltbevölkerung über 15 Jahren beschnitten sind (vgl. Fateh-Moghadam, 2010, S. 120). Dazu zählen neben religiös motivierten ebenso medizinisch indizierte Vorhautbeschneidungen, die hygienisch, präventiv oder therapeutisch begründet werden (vgl. Deusel, 2012, S. 15). Vor allem in den USA war die Zirkumzision von Neugeborenen aus medizinischen Gründen lange Zeit selbstverständlich (vgl. Bodenheimer, 2013, S. 135; Gollaher, 2002, S. 8). Die Weltgesundheitsorganisation führt aktuell in vierzehn süd- und ostafrikanischen Ländern Projekte zur HIV-Prävention mit Hilfe von Zirkumzision durch (vgl. WHO, 2014b). Gemeinsam ist den unterschiedlichen Praxen die Kürzung oder Teilentfernung der Vorhaut des Penis (vgl. Alabay, 2012, S. 137-138). [2]
Die WHO unterscheidet vier Formen weiblicher Genitalbeschneidung: Typ I - Partielle oder totale Entfernung der Klitoris und / oder der Vorhaut; Typ II - Partielle oder totale Entfernung der Klitoris und / oder der Schamlippen; Typ III - Verengung der Vaginalöffnung mit partieller oder totaler Entfernung der Schamlippen und / oder der Klitoris; Typ IV - Alle anderen Praktiken, die zur Verletzung der Genitalien führen (vgl. WHO, 2014a). Genitalbeschneidung betrifft heute schätzungsweise 130-132 Millionen Frauen weltweit, ein Großteil davon verteilt sich auf 28 afrikanische Länder, aber findet auch in Regionen Indiens, Malaysias und Indonesiens statt (vgl. Mende, 2011, S. 62); bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde sie ebenfalls in Teilen der USA und Europas durchgeführt (vgl. Asefaw & Hrzán, 2005, S. 12; Asefaw, 2012, S. 109). Viele Quellen weisen auf erhebliche gesundheitliche Komplikationen und Folgeschäden hin. Insgesamt sind die Auswirkungen aufgrund verschiedener Faktoren wie Art der Beschneidung, Alter und Gesundheitszustand der Beschnittenen oder hygienische Bedingungen sehr unterschiedlich (vgl. Asefaw & Hrzán, 2005, S. 15-16; Mende, 2011, S. 85). [3]
Diese und ähnliche Praxen lös(t)en immer wieder gesellschaftliche Kontroversen aus, wie zum Beispiel der seit 2008 in Deutschland stattfindende juristische Streit darüber, ob das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung zu einem Verbot religiös motivierter Vorhautbeschneidung bei männlichen Minderjährigen führt und somit über dem Erziehungsrecht der Eltern sowie über der Religionsfreiheit steht (vgl. Fateh-Moghadam, 2012, S. 146, S. 148). Dem Rechtsspruch des Kölner Landgerichts im Mai 2012 (Az. 151 NS 169 / 11), durch den jede nicht medizinisch notwendige Zirkumzision als rechtswidrige Körperverletzung gefasst wurde, folgte eine öffentliche Diskussion. Einige Wissenschaftler_innen wiesen auf antisemitische und antimuslimische Stimmungen sowie auf fachliches Unwissen innerhalb der Debatte hin, durch die eine Abgrenzung der deutschen christlichen Mehrheitsgesellschaft von beschnittenen Personen erfolge (vgl. Çetin, Voß & Wolter, 2012; Engel, 2013; Ötkem, 2013). Eine Petition muslimischer und jüdischer Jugendlicher „Wir gegen Rechtsbeschneidung“ machte auf die drohende Beschränkung und Bevormundung aufmerksam, die ihnen in der Debatte wiederfahre (Delberg, 2013). [4]
Für die Abschaffung weiblicher Genitalbeschneidung setzen sich weltweit politische und zivilgesellschaftliche Kampagnen und Vereine ein. Aktivist_innen aus verschiedenen afrikanischen Ländern arbeiten an der Entwicklung ganzheitlicher Maßnahmen, denn in betroffenen Regionen gelten die Beschneidungen oftmals nicht als Hauptproblem, vielmehr belasten Mangelernährung oder gesundheitliche Unterversorgung die Bevölkerung. Sie versuchen daher FGC zusammen mit soziokulturellen und ökonomischen Defiziten aufzugreifen (vgl. Asefaw, 2008, S. 70, S. 96) und kritisieren die häufig undifferenzierte Aufklärungsarbeit westlicher Länder, durch die genitalbeschnittene Frauen ausschließlich als Opfer und als Unterdrückte dargestellt werden (vgl. Asefaw, 2012, S. 109; Hrzán, 2005, S. 3; Mende, 2011, S. 70). Im Gegenzug wird auf Debatten um genitale Schönheitschirurgie und Eingriffe an intergeschlechtlichen Menschen verwiesen, die in diesen Ländern verbreitet sind, aber im Vergleich zu FGC-Praktiken kaum auf öffentliche Empörung stoßen (vgl. Asefaw & Hrzán, 2005, S. 12; Helmer, 2012, S. 10). [5]
Unter genitaler Schönheitschirurgie werden kosmetische Operationen an Genitalien verstanden, die im Zuge aktueller Intim- und Genitalästhetik im nord- und südamerikanischen, europäischen und asiatischen Raum vermehrt von Frauen nachgefragt werden. Hierzu gehören zum Beispiel Vaginalverengungen, Fettabsaugungen am Venushügel oder an den Schamlippen sowie chirurgische Veränderungen der Schamlippen (vgl. Helmer, 2012, S. 92-94; Messmer, 2013, S. 39). Messmer (2013, S. 41, S. 43, S. 45) zeigt auf, dass diese Praxen denen der weiblichen Genitalbeschneidung im Kontext von Religion oder Tradition ähneln, jedoch als Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und -bestimmung durch rekonstruktive, ästhetische Optimierungen diskutiert werden. [6]
Genitalverändernde Behandlungen und geschlechtsvereinheitlichende Eingriffe werden zudem an intergeschlechtlichen Neugeborenen durchgeführt. Zum Vorgehen gehören chirurgische Korrekturen an Klitoris oder Schamlippen, das Entfernen von Keimdrüsen oder Gebärmutter sowie Operationen zum Einsetzen von Hodenprothesen und Phalloplastiken (vgl. Voß, 2012, S. 47-49). Die Intersex-Bewegung fordert einen Stopp der Eingriffspraxis, durch welche ein ‚biologisch eindeutig‘ männliches oder weibliches Geschlecht operativ hergestellt wird und die neben lebenslangen Hormoneinahmen auch Folgebeschwerden und -eingriffe bedeuten kann. [7]