Donna J. Haraway (*06.09.1944) ist eine US-amerikanische Biologin, Wissenschaftsphilosophin und Literaturwissenschaftlerin, die als Distinguished Professor Emerita an den Departments History of Consciousness und Feminist Studies der Universtiy of California, Santa Cruz lehrte. In dieser Position hatte sie die erste explizit der Feministischen Theorie gewidmete Professur in den USA inne (vgl. Schneider, 2005, S. 11). Haraways interdisziplinär einflussreiche Arbeiten bewegen sich in einem thematischen Schnittfeld von feministischer Erkenntniskritik, Cultural Studies, politischer Theorie und Biowissenschaften (vgl. Reed, 2006, S. 132-133). Ihre Kernfragen kreisen um die historisch-kontingente und soziale Bedingtheit von wissenschaftlichen und technologischen Praktiken, die damit verbundenen Prozesse der Alterität von Selbst und Anderem sowie um epistemologische Konsequenzen für demokratische und verantwortungsvolle Wissenspolitiken (vgl. Schneider, 2005, S. 87). In ihren Analysen geht es um die Offenlegung und historisch-spezifische Situierung von konstitutiv in die Wissenschaftspraktiken und Objektivitätsverständnisse der Moderne eingeschriebenen Differenzkonstruktionen wie Gender, Race oder Nation, aufgrund derer sich gesellschaftliche Ordnungsmuster legitimieren. [1]
Ein Fokus vieler Arbeiten Haraways (z.B. 1976; 1989; 1991; 1997) liegt in ihrem Interesse an produktiven Machteffekten von sprachlichen Figuren in wissenschaftlichen und historischen Diskursen sowie der damit verbundenen Dekonstruktion von Dichotomien (vgl. Harrasser, 2006, S. 445). Sie macht sich Sprache dabei transdisziplinär zu Nutze, indem sie eigene Wortschöpfungen einführt und wissenschaftliche Sedimente mit literarischen und alltagsweltlichen Referenzen zusammenbringt. Über dieses Vorgehen verortet sie ihre Arbeiten explizit im Kontext ihrer eigenen, komplexen sozialisatorischen Einflüsse, wie der katholischen Erziehung und dem Profitieren von der US-Bildungspolitik der 1960er Jahre einerseits sowie dem Engagement im AIDS- und Tierrechts-Aktivismus und Pazifismus andererseits. Von besonderer Relevanz sind für Haraway Grenzfiguren, z.B. Primaten, Cyborgs, FemaleMan© oder Hunde, die sie als „Menagerie of Figurations“ (Haraway, 2000b, S. 135-138) bezeichnet. Diesen Tropen schreibt sie als Denk- und Analysemittel destabilisierende Funktionen gegenüber essentialistischen Kategorien wie ‚Körper’, ‚Geschlecht’, ‚Subjekt’, ‚Natur’ oder ‚Technik’ zu (vgl. Schneider, 2005, S. 18). [2]
In ihrem stark rezipierten Text „A Cyborg Manifesto“ (2000a [1985]) fragt Haraway nach den Potenzialen und Gefahren von technologischen Entwicklungen in Zusammenhang mit Körper und Geschlecht für feministische und anti-rassistische Politiken (vgl. Harrasser, 2006, S. 451). Die hier aufgegriffene Hybridfigur des/der „Cyborg“ (kurz für: cybernetic organism) bezeichnet einen Organismus, der mit technischen Elementen verwoben ist. Cyborgs sind einerseits als Mensch-Maschine oder Tier-Maschine in den Narrationen der Science Fiction zu finden, andererseits sind sie ein reales Beiprodukt neokapitalistischer Neuerungen in den Informations- und Biotechnologien seit den 1980er Jahren. Sie treten in der kommerziellen Verpflanzung menschlicher Krebszellen in Mäuse (OncoMouse™) ebenso auf wie in Form von Prothesen, Cybersex oder virtuellen Realitäten (vgl. Reeve, 2012, S. 93). Haraway macht in den Cyborgs trotz ihrer Herkunft in hierarchischen Sozialordnungen kritische Potentiale aus: Da Cyborgs die anthropologischen Oppositionen von Tier/Mensch, Organismus/Maschine und Physisch/Nicht-Physisch ontologisch erodieren und neu synthetisieren, ließen sich auch biologistische Körperdiskurse, die das Geschlechterverhältnis determinieren, infrage stellen (vgl. Haraway, 2000a, S. 56-57). Explizit setzt sich Haraway damit von den Leitideen der zweiten Frauenbewegung und deren Identitätspolitiken ab und plädiert für Netzwerk- und Affekt-Politiken in stets neuen Koalitionen, die jenseits von Bezügen auf organische oder natürliche Standpunkte operieren (vgl. Schneider, 2005, S. 68-69). [3]
Ein weiterer Schwerpunkt von Haraways Arbeiten liegt in den Wechselbeziehungen menschlich-tierischer Sozialität. Beispiel hierfür ist ihre Studie zur Primatologie (1989), mit der sie im Sinne der Genealogie Foucaults die Geschichte der Biologie als kollektives Repräsentationssystem untersucht, über welches sich hegemoniale Geschlechterordnungen generierten. Ähnlich der Cyborg-Figur bringen für Haraway (2003, 2008) auch „companion species“ das Menschliche und Nicht-Menschliche, Natur und Kultur zusammen. Besonders Hunde als ‚vermenschlichte’ Gefährten verdeutlichten, dass es keine vorkonstituierten Subjekte oder Objekte gebe. Die molekularen, evolutionären und individuellen Historien beider Spezies seien vielmehr ko-konstitutiv und relational komplex ineinander verwoben (vgl. Haraway, 2008, S. 134-135). Durch Achtsamkeit gegenüber den vielgestaltigen Verbindungen von Menschen und Tieren könnten nach Haraway neue theoretische und methodologische Ansätze entwickelt werden, die sich durch die Verpflichtung gegenüber ‚bedeutender Andersheit’ („significant otherness“) im Zusammenleben aller Arten von Wesen auszeichneten (vgl. Haraway 2003, S. 8, 63-65). [4]
Zentral für Haraways Beschäftigung mit Fragen einer feministischen Wissenschaftsethik ist ihr Konzept des Situierten Wissens (Haraway, 2002 [1988]). Im Rahmen von Debatten um Werteneutralität und Bias innerhalb der modernen experimentellen Wissenschaften nimmt sie damit eine Neubestimmung erkenntnislogischer Denkmodelle vor. Bedeutsam ist für Haraway die Konzeptualisierung der Forschenden als wertfreie und unmarkierte Naturzeugen („modest witnesses“), deren beobachtendes ‚Sehen’ seit der Aufklärung als entkörpert universalisiert wurde (vgl. Haraway, 2000b, S. 159-160; 2002, S. 363-364). Über Techniken der vermeintlichen Objektivitätssicherung würden so androzentrische, weiße und koloniale Perspektiven in die Wissenschaften eingeschrieben und autorisiert (vgl. Haraway 2002, S. 364). Anstatt den Begriff der Objektivität relativistisch zu verwerfen, greift Haraway das Ideal der „strong objectivity“ (Harding, 1991, S. 149) sowie das Modell der Marx’schen Standpunkttheorie und dessen feministische Reformulierungen durch Hartsock (1983) und Harding (1986) auf (vgl. Haraway, 2002, S. 362-363). Hier bietet die soziokulturelle Position von Forschenden eine Ressource für annähernd objektive Erkenntnisse. Wenn der eigene soziale und körpergebundene Standpunkt im Forschungsprozess als stets partikular mitreflektiert und verortet wird, ist nach Haraway die Gefahr geringer, sich der Verantwortung für Machteffekte der Wissensproduktion zu entziehen (vgl. Haraway, 2002, S. 368-370). [5]