Unter Diversity (dt.: Vielfalt) wird die Heterogenität und Diversifizierung sozialer Lebenslagen und sozialer Zugehörigkeiten verstanden, die in Folge von unter anderem Migrationsbewegungen, veränderten Geschlechterbeziehungen und der Pluralisierung von Familienformen in westlichen Gesellschaften zunehmen bzw. stärker thematisiert werden als zuvor. Dabei ist eine Lesart vorherrschend, die Diversity als gesellschaftliche und besonders als ökonomische Ressource, als Potenzial, betrachtet. In diesem Zusammenhang weist Vertovec (2012) darauf hin, dass sich mit dem Diversitydiskurs ein allmählicher, tiefgreifender Wandel der social imaginary (der symbolischen Ordnung oder gesellschaftlichen Vorstellungswelt) abzeichnet, der zu einer zunehmenden Anerkennung von sozialer Komplexität führe. [1]
Der Begriff Diversity hat seine gesellschaftspolitischen Wurzeln in den US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen ab den 1960er Jahren und in deren Forderungen nach politischen und rechtlichen Maßnahmen zum Abbau von in der Vergangenheit erfahrenen Benachteiligungen und zur Etablierung von Antidiskriminierungspolitiken. Als Reaktion auf den „workforce-Bericht“ aus dem Jahr 1987, der die Folgen demographischer Veränderungen für das Arbeitskräftereservoir aufzeigte, wendeten sich US-Unternehmen dem Diversity Management zu. Diversity erfuhr eine ‚produktive‘ Wendung zum Human Ressource Management (vgl. Vertovec, 2012, S. 289-295; Vedder, 2009). Die Vielfalt in Teams und in Betrieben, die sich beispielsweise aus unterschiedlichen Altersgruppen oder verschiedener ethnischer Herkunft ergibt, sollte nunmehr optimal genutzt werden (Ressourcenorientierung). In Deutschland haben daher vor allem global agierende Unternehmen, die oft zu einem US-amerikanischen Konzern gehören, als Erste das Diversitykonzept aufgegriffen. Heute wird die Umsetzung einer Diversityorientierung auch von sozialen Einrichtungen, Non-Governmental Organizations (NGOs), von Hochschulen und öffentlichen Verwaltungen betrieben. Generell besteht das Ziel einer Diversityorientierung in einer Abkehr vom Homogenitätsideal in Organisationen sowie in der Wertschätzung aller Organisationsmitglieder (vgl. auch den Wortlaut der „Charta der Vielfalt“ seit 2007; Charta der Vielfalt e.V.). Die gesellschaftliche Diskussion um Vielfalt ist nicht zuletzt auch durch die Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union seit 2000, die auf dem Amsterdamer Vertrag (1997) fußen, und das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (BMJV, 2006) seit 2006 befördert worden. Seitdem ist eine Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, Behinderung, ethnischer Herkunft, Religion / Weltanschauung, sexueller Orientierung und Alter in verschiedenen Bereichen des Arbeits- und des Zivilrechts verboten (vgl. Degener et al., 2008). [2]
Der Umgang mit und das Verständnis von Diversity sind nicht unproblematisch. Zum einen besteht die Gefahr einer Essentialisierung und einer Kulturalisierung, indem beispielsweise Geschlecht oder Ethnizität als (natur)gegebenes Potenzial eines Individuums betrachtet werden (vgl. Walgenbach, 2014, S. 120-122). Zweitens wird, wie in Unternehmen, auch für pädagogische (Diversity Education), soziale und öffentliche Bereiche eine ökonomisch-rationale Marktlogik befürchtet, indem nur solche Vielfalt geschätzt wird, die als vorteilhaft in Hinblick auf Humanressourcen erscheint (vgl. Meuser, 2013). Kritiker_innen dieser Entwicklung fordern daher für den Bildungs- und gesellschaftspolitischen Bereich eine Abkehr von Prämissen einer ökonomischen Diversityorientierung und eine Hinwendung zu Antidiskriminierungspolitiken. Denn Kulturalisierungen sowie der Glaube an das meritokratische Prinzip verstärken und verschleiern Exklusions- und Schließungsprozesse (vgl. Heitzmann & Klein, 2012; Klein, 2013). Gefordert wird auch die Einbeziehung von sozialer Herkunft bzw. Klasse als Kategorie, die bisher im Diversitydiskurs oftmals ausgeklammert bleibt (vgl. Knapp, 2013; Emmerich & Hormel, 2013). [3]
Trotz der berechtigten Befürchtungen und Kritik kann der Diversityansatz eine konstruktive Auseinandersetzung mit sozialer Heterogenität befördern, wenn anstatt eines (essentialisierenden) Blicks auf vermeintlich ‚individuelle Merkmale‘ die Frage nach Stereotypen und Kategorisierungen gestellt wird. Das hieße, soziale Kategorien als Ergebnis sozialer Klassifikationsprozesse zu verstehen, die zu Diskriminierungen als Benachteiligungen und Privilegierungen führen. Dadurch wird der Kategorienbegriff explizit von einer alltagsgebräuchlichen Deutung als individuelles Merkmal abgegrenzt. Aus einer kritischen Perspektive wird daher gefordert, die Mechanismen von Differenzsetzungen und die daraus resultierenden sozialen Ungleichheiten in den Fokus zu nehmen (vgl. Hofmann, 2012; Heitzmann & Klein, 2012). [4]
Derzeit etablieren sich Diversity Studies als neuer Forschungsbereich an deutschen Hochschulen, einige Professuren wurden mit der entsprechenden Denomination bereits eingerichtet. Von Diversity Studies kann, anders als von Gender Studies oder Queer Studies, bisher jedoch eher als Suchbewegung gesprochen werden (vgl. Krell, Riedmüller, Sieben & Vinz, 2007; Smykalla & Vinz, 2012). Hierbei gilt es auszuloten, inwiefern fruchtbare Verknüpfungen mit den Gender und Queer Studies, den Disability Studies, der kritischen Migrationsforschung, den Postcolonial und Critical Whiteness Studies hergestellt werden können (vgl. Eggers, Kilomba, Piesche & Arndt, 2005; Ha, 2011; Scherr, 2009; Schneider & Waldschmidt, 2012; Struve, 2012). Besonders in der Geschlechterforschung wurde das Verhältnis von Gender und Diversity in den letzten Jahren kontrovers diskutiert (vgl. Andresen, Koreuber & Lüdke 2009; Klein, 2015; Meuser & Riegraf, 2010). Gleichwohl lassen sich Berührungspunkte und Überschneidungsbereiche etwa mit dem Konzept der Intersektionalität feststellen, das in der Geschlechterforschung verstärkt rezipiert wird und Wechselwirkungen sowie Verschränkungen verschiedener Ungleichheitsdimensionen zum Gegenstand hat (vgl. Knapp, 2008; Walgenbach, 2012). [5]