Der Begriff Diskrimination bzw. Diskriminierung leitet sich vom lateinischen Verb discriminare ab, das unterscheiden, trennen, abgrenzen, absondern bedeutet. Erst seit dem frühen 20. Jahrhundert impliziert Diskriminierung einen benachteiligenden Umgang, zunächst unter Handelspartner*innen, und wenig später eine staatliche oder private Berechtigung, Verpflichtung oder Behandlung von Personen und gesellschaftlichen Gruppen, die in unsachlicher Weise bevor- oder benachteiligend, unangemessen, herabsetzend oder abwertend ist (vgl. Kämper, 1999, S. 666). Der Bedeutungswandel des Begriffes verweist darauf, dass es sich nicht nur um ein soziales Phänomen oder individuelles Unglück, sondern um ein gesellschaftliches Problem, einen Gegenstand sozialer und politischer Auseinandersetzungen, handelt. In sozialwissenschaftlicher Perspektive wird Diskriminierung als komplexer Vorgang verstanden, durch den Unterscheidungen zwischen sozialen Gruppen mit Annahmen über spezifische Eigenschaften ihrer ‚Angehörigen‘ einhergehen sowie mit sozialen, ökonomischen, politischen und/oder rechtlichen Benachteiligungen verschränkt sind (vgl. Hormel & Scherr, 2010, S. 11). [1]
Diskriminierung als komplexer Vorgang resultiert aus der Verbindung sozialpsychologischer Dynamiken der Stereotypisierung, Vorurteilsbildung und Kategorisierung (vgl. Petersen & Six, 2008) mit sozialen Prozessen und Klassifikationsschemen (vgl. Scherr, 2016a, S. 5). Ihre Grundlage sind gesellschaftlich bedeutsame, von der sozialen Realität abstrahierende und homogenisierende „Differenzkonstruktionen“ (Scherr, 2016a, S. 6), die zur Etablierung, Verbreitung und Legitimation von sozialen Typologien, Annahmen über Identitäten, Ähnlichkeiten und Unterschiede, Normen, Normalitäten und Abweichungen, Ein- und Ausschlüssen und Hierarchien führen. Sie manifestieren sich auf analytisch unterscheidbaren, realiter ineinandergreifenden Ebenen. Diskriminierungen finden interaktionell, institutionell und organisational (vgl. Gomolla, 2010), strukturell, wie in der longue durée (vgl. Boatcă, 2010), sowie symbolisch auf kultureller, diskursiver und ideologischer Ebene (vgl. Rommelspacher, 1999) statt. Die auf Differenzkonstruktionen basierenden Diskriminierungen haben demnach gesellschaftsbildenden Charakter. Sie sind sozialen Praktiken und Strukturen, Organisationen und Institutionen eingeschrieben und resultieren in ungleichen Lebensbedingungen, Anerkennungs- und Bildungschancen, materiellen und immateriellen Ressourcen und in der Segregation am Arbeits- und Wohnungsmarkt. „[S]elf-perpetrating“ (Pettigrew & Taylor, 1990, S. 501) – selbsterhaltend, selbstverstärkend und dynamisch – sind Diskriminierungen dann, wenn sie Personen oder (imaginierte) Gruppen aufgrund des Nachwirkens überkommener Ideologien und Diskurse gegenwärtig in angepasster, oft mittelbarer Form, treffen (past in present discrimination). Solche, sich über lange Zeiträume entwickelten, verfestigten, gesellschaftlich wirkmächtigen Diskriminierungen aufgrund ethnischer oder religiös-kultureller Markierungen, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Klassenzugehörigkeit oder sozioökonomischen Position, physischer oder psychischer Beeinträchtigungen waren und sind Ausgangspunkte politischer Kontroversen, sozialer Konflikte und der Formierung sozialer Bewegungen (vgl. Scherr, 2016a, S. 3–4; Scherr, 2016b). [2]
Eine Person oder Institution, die diskriminiert, verletzt andere in ihren (Menschen-)Rechten (vgl. Scherr, 2016b, S. 7–8; Lembke, 2012) und kann dafür unter bestimmten Bedingungen zur Verantwortung gezogen werden. Auf sozialwissenschaftliche, sozialhistorische und sozialpsychologische Begriffe von Diskriminierung wurde und wird nicht selten prominent, als Basis politischer und rechtlicher Umschreibung und Ächtungen, Bezug genommen (vgl. etwa die Definition der Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights der Vereinten Nationen zit. n. Schütz, 2011, S. 217). Diskriminierung im Rechtssinn bezeichnet jede benachteiligende, unsachliche Differenzierung aufgrund eines der gesetzlich geschützten Merkmale – neben der Staatsbürger*innenschaft sind diese im Kontext des europäischen Antidiskriminierungsregimes das (biologische und soziale) Geschlecht, die sexuelle Ausrichtung/Orientierung/Identität, ethnische Herkunft/Race, Religion oder Weltanschauung, Alter und Behinderung, nicht aber die soziale Position bzw. Klasse (vgl. Europäischer Rat [ER], Art. 1 Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG, Art. 1 Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG, Art. 1 Zweite Gender-Richtlinie 2004/113/EG, Art. 1 Gleichbehandlungsrichtlinie 2006/54/EG). Abgesehen von positiven Maßnahmen (affirmative actions) wie Mentoringprogrammen zur Frauenförderung und Quotenregelungen (vgl. Baer, 2010), sind Unterscheidungen aufgrund dieser geschützten Diskriminierungsgründe legitimerweise nur dann möglich, wenn diese mittelbar erfolgen und sachlich begründet werden. Bei einer mittelbaren Diskriminierung wird eine Person dadurch unterschiedlich, d. h. mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger günstig, behandelt, indem an tatsächlich oder scheinbar „neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren“ (Bundestag [BT], 2006, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 3; Nationalrat [NR], 2004, Gleichbehandlungsgesetz, § 5; vgl. Bundesversammlung [BVers], 2017, Gleichstellungsgesetz, Art. 3) angeknüpft wird. Solche Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, etwa arbeitsmarktpolitische Förderungen älterer Arbeitnehmer*innen, müssen durch ein rechtmäßiges und legitimes Ziel, das sich aus den in den Gleichbehandlungsrichtlinien normierten Normzwecken und Rechtfertigungsgründen ergibt, etwa der Erhöhung der Erwerbsquote von Personen, die das 50. Lebensjahr überschritten haben, sachlich begründet werden, und die Mittel oder Maßnahmen zur Zielerreichung müssen verhältnismäßig sein. Verhältnismäßig sind diese, wenn das angestrebte legitime Ziel nicht durch andere Mittel oder Maßnahmen erreichbar ist, die keine oder weniger nachteilige Wirkungen, etwa auf Angehörige einer Alterskohorte, haben. Sind sie das nicht und benachteiligen sie eine Person aufgrund eines geschützten Merkmals in besonderer Weise, sind sie sachlich nicht gerechtfertigt. Damit wird der sozialwissenschaftlichen Erkenntnis Rechnung getragen, dass Ausschluss- und Benachteiligungsmechanismen in gesellschaftliche Strukturen, Institutionen und Lebensweisen tief eingeschrieben sind; neutrale, formal gleiche Bedingungen oder Maßnahmen, die sich an ‚Maßmenschen‘ orientieren, können diskriminierend wirken. Dies gilt etwa für Bekleidungsvorschriften von Unternehmen, die das Tragen jeglicher Kopfbedeckungen verbieten. Zwar gelten solche Bekleidungsvorschriften für Frauen* und Männer*, sie werden realiter jedoch vor allem muslimische Frauen* treffen, die sich aufgrund einer religiös konnotierten geschlechtlichen Tradition in besonderer Weise kleiden, weswegen es sich um eine mittelbare, intersektionelle Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Religion handelt (vgl. Holzleithner, 2015, S. 48–49). Dies gilt auch für Bauweisen von Geschäften oder Ämtern, die nur über Stufen zugänglich sind. Zwar müssen alle Personen diese Stufen überwinden; Rollstuhlfahrer*innen sind dazu aber in der Regel nicht in der Lage und damit ausgeschlossen und benachteiligt. Demgegenüber ist eine unmittelbare bzw. direkte Diskriminierung, durch die eine Person „eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“ (BT, 2006, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 3; NR, 2004, Gleichbehandlungsgesetz, § 5; vgl. BVers, 2017, Gleichstellungsgesetz, Art. 3), in jedem Fall rechtswidrig (zu den Versuchen, unmittelbare Diskriminierung dennoch zu rechtfertigen vgl. Ellis, 1998, S. 134–136). [3]
Kämpfe von Frauen*bewegungen, Bürger*innenrechtsbewegungen, Homosexuellenbewegungen und queeren Gruppen gegen Diskriminierung (vgl. MacKinnon, 2016), Gewalt (vgl. Elsuni, 2011) und um Anerkennung (vgl. Honneth, 1994) waren in rechtlicher Hinsicht erfolgreich (vgl. Baer, 2008, S. 23) und führten zum Eingang von Diskriminierungsverboten in die Rechtswirklichkeit (vgl. etwa zur Entwicklung der Judizibilität von sexueller Belästigung MacKinnon, 1979, 2007). Rechtliche Diskriminierungsverbote bestehen auf einfachgesetzlicher (vgl. Liebscher, 2012, S. 118–132), verfassungsrechtlicher (vgl. Wrase & Klose, 2012), europarechtlicher (vgl. Liebscher, 2012, S. 112–117) und menschenrechtlicher Ebene (vgl. König, 2006; Bielefeldt, 2010; Lembke, 2012, 2014; Purth & Berger, 2017). In der Praxis lassen sich Auslegungs- und Umsetzungsdefizite von Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsrecht feststellen, die sich in rechtspolitischer wie administrativer Vorsicht, legistischen Doubletten sowie in Hindernissen in der Rechtsmobilisierung (durch fehlende Ressourcen, Rechtskenntnis, mangelndes Anspruchswissen und Vertrauen in Institutionen) oder in fehlenden Effekten auf den Rechtsalltag zeigen (vgl. Baer, 2008, S. 28; Kocher, 2013; Klose, 2010). Mit der europaweiten Ausweitung des rechtlichen Schutzes auf eine Reihe von Identitätskategorien (proliferation of equality grounds) – neben Geschlecht auf die Kategorien Sexualität, Ethnizität, Religion/Weltanschauung, Alter, Behinderung – und der partiellen einzelstaatlichen Erweiterung auf weitere Kategorien wie Familienname, Wohnort oder Gesundheitszustand (für Frankreich vgl. Assemblée nationale, Code du travail, Art. L1132-1, Art. L1142-1 et seq.), ging eine Differenzierung und Hierarchisierung dieses Schutzes einher, wobei lediglich Geschlecht, ethnische Herkunft und Behinderung inner- und außerhalb der Arbeitswelt geschützt sind. Mehrfachen, intersektionalen Betroffenheiten (vgl. Crenshaw, 1989; Holzleithner, 2010; kritisch Michalitsch, 2013) wird der europäische Diskriminierungsschutz – zumindest in einer für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) untypischen, undynamischen Auslegung, die nicht auf den Zweck des Normkomplexes, i. e. Gleichheit und Nichtdiskriminierung herzustellen und zu gewährleisten, sondern auf dessen Wortlaut fixiert ist – nicht gerecht (vgl. Bell & Waddington, 2003, S. 350; Holzleithner, 2005, S. 936–939; Baer, 2008, S. 31; Schiek & Mulder, 2014, 52–54; Schiek, 2017, S. 413–416). [4]
Dass Diskriminierung als soziales Phänomen der Benachteiligung, Abgrenzung und Abwertung sich als derart beharrlich erweist und weit verbreitet ist (vgl. bspw. European Union Agency for Fundamental Rights [FRA], 2009), steht in einem auffallenden Missverhältnis zu ihrer politischen Skandalisierung und der in liberalen Demokratien formal weitgehend garantierten Chancengleichheit in Form von gleichen Rechten und Pflichten sowie gleichem Zugang zu Ämtern, Funktionen, Dienstleistungen und damit zu Prestige, Freiheiten und Ressourcen (vgl. Rössler, 1993, S. 8). Albert Scherr spricht deswegen davon, dass sich moderne, individualistische Gesellschaften „durch ein paradoxes Verhältnis zu Formen der Diskriminierung“ (Scherr, 2016a, S. 16) auszeichnen, da meritokratisch nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlungen eine Folge struktureller Ungleichheiten sind, die jedoch mit deren Selbstverständnis und deklarierten Prinzipien unvereinbar sind (vgl. Scherr, 2016b, S. 8–9). Deswegen führen Fragen danach, ob Ungleichbehandlungen auf legitimen Unterscheidungen beruhen oder als unzulässige Diskriminierungen zu bewerten sind, laufend zu öffentlicher Kritik und sozialen Auseinandersetzungen (vgl. Scherr, 2016a, S. 15–16). [5]
In feministischer – wie auch in antirassistisch-postkolonialer – Perspektive werden Chancengleichheit und Antidiskriminierung nicht als Ideale oder abstrakte Prinzipien verstanden und soziale Hierarchien nicht zu individuell auszuagierenden Problemen oder bearbeitbaren persönlichen Defiziten verklärt (vgl. Baer, 2008, S. 32–33). So findet Entgeltdiskriminierung, von der Frauen* statistisch signifikant häufiger betroffen sind (vgl. Eurostat, 2018), in den seltensten Fällen intentional statt, sondern basiert unter anderem auf vergeschlechtlichten Erwartungen an Geschlechterperformance und Verhandlungstaktiken (vgl. Adamietz, 2011), einer vergeschlechtlichten horizontalen und vertikalen Segregation des Arbeitsmarktes (vgl. Hermann, 2014), einer vergeschlechtlichten Bewertung von Arbeit (vgl. Acker, 1989) und betrieblicher und/oder gesamtgesellschaftlicher Lohn- und Gehaltsintransparenz. Eine substanzielle Herangehensweise rückt deshalb die Historizität und Vermachtung von diskriminierenden Erwartungen, Äußerungen, Handlungen, Institutionen und Strukturen und damit die Asymmetrie, Historizität, Komplexität und Kontingenz gesellschaftlicher Verhältnisse in den Fokus (vgl. MacKinnon, 2011, S. 11; Lembke & Liebscher, 2014, S. 262; Berger & Zilberszac, 2016, S. 97), ohne aus dem Blick zu verlieren, dass es sich um Verletzungen individueller Rechte handelt. [6]