Feministische Sicherheitsstudien (Feminist Security Studies) sind eine Wissenschaftsdisziplin, in der Forscher*innen vor allem (bewaffnete) Konflikte, (Un-)Sicherheit sowie Krieg und Frieden aus gendersensiblen Blickwinkeln und in aktuellen Zusammenhängen untersuchen (vgl. Wibben, 2016). Sie befinden sich an der Schnittstelle von Sicherheitsstudien, Theorien der Internationalen Beziehungen, Friedens- und Konfliktforschung und Geschlechterforschung (vgl. Clasen, Hinterhuber & Bieringer, 2011). Daneben setzen sich feministische Forscher*innen aus Anthropologie, Geschichte, Literaturtheorie, Philosophie, Psychologie oder Soziologie mit Konflikt- und Sicherheitsthemen auseinander. Die Politikwissenschaftlerin J. Ann Tickner (2006, S. 386–387) nennt als Gemeinsamkeiten des durch heterogene disziplinäre Einflüsse geprägten Felds der Feministischen Sicherheitsstudien, dass Wissenschaftler*innen (1) feministische Forschungsfragen stellen, (2) ihre Forschung insbesondere auf die Erfahrungen von Frauen und Personen der LGBQTIA*-Gemeinschaft stützen, (3) die Notwendigkeit einer selbstreflexiven Haltung betonen und (4) einem emanzipatorischen Erkenntnisinteresse folgen. Des Weiteren gehen die meisten Forscher*innen vom sozialen Konstruktionscharakter sowohl der Kategorie Sicherheit als auch der Kategorie Geschlecht aus. [1]
Die Feministischen Sicherheitsstudien sind das Resultat verschiedener Entwicklungen. Die Disziplin entstand in Folge der Ausdifferenzierung der Sicherheitsstudien, die wiederum aus den Fachrichtungen der Internationalen Politik und der Internationalen Beziehungen hervorgegangen sind. Sicherheitsstudien werden in traditionelle und kritische unterschieden. Forscher*innen traditioneller Studien betreiben staatszentrierte Forschung und nutzen einen engen Sicherheitsbegriff, der sich auf militärische und staatliche Sicherheit beschränkt. Seit den 1990er Jahren fand eine Öffnung des Forschungsspektrums der traditionellen Sicherheitsstudien statt, die auch als broadening and deepening (vgl. Laffey & Nadarajah, 2016; Parker & Vaughan-Williams, 2012) bezeichnet wird. Im Rahmen neuer Perspektiven untersuchen Forscher*innen die individuelle oder die Meso-Ebene, erweitern den Begriff der Sicherheit um Aspekte politischer, sozialer, ökonomischer und ökologischer Sicherheit (Newman, 2010, S. 83–84) und legen ihr Augenmerk auf menschliche Sicherheit, auf den Schutz des*r Einzelnen und seiner*ihrer Menschenwürde (Anand & Sen, 1994). Innerhalb der Disziplin sind so verschiedene Teildisziplinen entstanden, beispielsweise die Konstruktivistischen oder Kritischen Sicherheitsstudien, zu denen auch die Feministischen Sicherheitsstudien gezählt werden können (Wibben, 2016). Die Auffassung, dass sowohl Sicherheit als auch Geschlecht soziale Konstrukte sind, stellte eine Neuheit gegenüber der vormaligen Fokussierung auf staatliche und militärische Sicherheit dar, bei der von rational agierenden, objektiven staatlichen Akteuren ausgegangen wurde. Forscher*innen der Feministischen Sicherheitsstudien untersuchen demgegenüber Ausprägungen und Auswirkungen von Konflikten, Krieg oder (Un-)Sicherheit auf das Leben einzelner Menschen oder Gruppen (bspw. Sylvester, 2013; Wibben, 2016). Als weiterer Entwicklungsschritt, der zur Entstehung der Feministischen Sicherheitsstudien führte, kann die feministische Kritik an Wissenschaftler*innen der Internationalen Beziehungen sowie der Konflikt- und Friedensforschung seit Anfang der 1990er Jahre gelten. Bezeichnend dafür war u. a. die Frage Cynthia Enloes „Wo sind die Frauen?“ (1989), mit der sie wissenschaftliche Arbeiten kritisierte, deren Schwerpunkt in der Regel auf Forschung von Männern und über Männer in der wissenschaftlichen und politischen Landschaft der Internationalen Beziehungen lag. Nachdem im Zuge dieser Kritik Forscher*innen der Internationalen Beziehungen die Kategorien Geschlecht und Frau – anfangs noch unsystematisch und wenig theoretisierend (‚add women and stir‘) – integrierten, ergibt sich mittlerweile ein vielfältiges Forschungsfeld, innerhalb dessen Wissenschaftler*innen die Komplexität von Geschlecht berücksichtigen und untersuchen (Celis, Kantola, Waylen & Weldon, 2013). Auch in der Friedens- und Konfliktforschung wurden neue Perspektiven eingenommen, die zu einem erweiterten Verständnis der Strukturen (militärischer) Gewalt in Konfliktsituationen führten (vgl. Jeong, 2017) und eine Forschung ermöglichten, die die Bedeutung von Geschlecht im Kontext von Konflikten, in deren Vorfeld, während der konfliktiven Ereignisse und in deren Nachgang herausarbeiteten (vgl. Handrahan, 2004). [2]
Die interdisziplinäre Ausrichtung der Feministischen Sicherheitsstudien führt dazu, dass in der Forschung diverse konzeptionelle Ansätze adaptiert werden. Forscher*innen der liberalen Feministischen Sicherheitsstudien konzentrieren sich zumeist auf die Repräsentation von Frauen in Militär, Politik und Konflikten (vgl. Whitworth, 2008). Die radikalen Feministischen Sicherheitsstudien beinhalten vor allem Forschungen, die auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern ausgerichtet sind (vgl. Whithworth, 2008). Einen weiteren Ansatz umfassen die kritischen Feministischen Sicherheitsstudien. Kritische feministische Wissenschaftler*innen setzen sich explizit mit Gender als sozialem Konstrukt im Zusammenhang mit Sicherheit auseinander. Sie begründen, dass es in der Sicherheitsforschung relevant ist, Geschlecht als sozial konstruiert zu erachten und zeigen auf, welche Erkenntnisse zu Sicherheitsthemen, beispielsweise der Einfluss hegemonialer Männlichkeit auf Machthierarchien, durch eine geschlechtersensible Forschung gewonnen werden können (vgl. Hooper, 2001). Forscher*innen der postmodernen Feministischen Sicherheitsstudien dekonstruieren Differenzierungen und hinterfragen unter anderem die vergeschlechtlichte Zuschreibung von Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften (vgl. Zalwski, 2000). Im Rahmen postkolonialer Feministischer Sicherheitsstudien, die in den letzten Jahren an Relevanz gewonnen haben, beziehen Forscher*innen neben kritischen und postmodernen Standpunkten auch intersektionale Perspektiven in die Analysen ein und stellen diese den traditionellen Auffassungen von Sicherheit und Gewalt entgegen (vgl. Chowdhry & Nair, 2002). [3]
Die Bezugnahmen auf unterschiedliche akademische Disziplinen konstituieren ein thematisch vielfältiges Forschungsfeld. Forscher*innen der Feministischen Sicherheitsstudien beschäftigen sich unter anderem mit Themen, die sich an die traditionelle Sicherheitsforschung anlehnen (Sjoberg, 2013; Wibben, 2011; Lobasz & Sjoberg, 2011), beispielsweise die Exklusion von Frauen vom Militär und der Mythos von Kameradschaft oder Bruderschaft, der diese Ausgrenzung zementiert (MacKenzie, 2015, S. 18). Auch der Nexus von bewaffneten Konflikten, Macht und Geschlecht (Enloe, 2010, 1998; Highmann & Stephens, 2004; Hansen & Olsson, 2004) gehört zu diesem Teilbereich Feministischer Sicherheitsforschung. Wenn Forscher*innen dieses Teilbereichs ihr Augenmerk auf Auswirkungen von Konflikten und auf den Alltag von Menschen in sicherheitssensiblen Kontexten legen, kann dies auch als Kritik an der staatszentrierten Ausrichtung der traditionellen Sicherheitsstudien verstanden werden. Forscher*innen eines weiteren Teilbereichs untersuchen gegenderte Opfer- und Täter*innen-Zuordnungen (vgl. Whitworth, 2008). Ein Beispiel dafür ist Joshua S. Goldsteins (2003) Forschung zur Reproduktion von genderspezifischen Rollenbildern und zur militärstrategischen Konstruktion verschiedener Maskulinitäten durch Konfliktparteien. Die Forschungsergebnisse erlauben es, hegemoniale Vorstellungen von Männlichkeit zu hinterfragen, die durch die Forschung der traditionellen Sicherheitsforschung oder die der Internationalen Beziehungen eher reproduziert werden. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf einer Forschung, die Machtverhältnisse bzw. deren Reproduktion in Bezug auf Militär und militarisierte Sprache untersucht. So zeigen Carol Cohn, Felicity Hill und Sara Ruddick (2005), auf welche Weise Machtstrukturen mit Männlichkeit verknüpft werden können. In einer ihrer häufig diskutierten Veröffentlichung Slick'Ems, Glick ‘Ems, Christmas Trees, and Cutters: Nuclear Language and how we learned to pat the bomb arbeitet Cohn den gegenderten Gebrauch von Sprache bezüglich nuklearer Waffen durch Verteidigungsmitarbeiter heraus (Cohn, 1987, S. 17–18; Cohn, 1997). [4]
Forscher*innen in den Feministischen Sicherheitsstudien werden zum einen mit der Kritik anderer Disziplinen innerhalb der Sicherheitsstudien konfrontiert, die auf einer essentialistischen und binären Aufteilung der Geschlechter beharren oder die Auffassung vertreten, dass Sicherheit ausschließlich staatszentriert untersucht werden könne (vgl. hierzu Sjoberg, 2015, S. 155–156). Zum anderen wird disziplinintern eine Diskussion über Postkolonialismus und einen vorherrschenden westlichen Euro-, Anglo- oder US-Zentrismus geführt. Laura Shepherd (2013) oder Mark Laffey und Suthaharan Nadarajah (2016) zeigen auf, dass in den Feministischen Sicherheitsstudien westliche Beiträge vorherrschen und stellen dieser Tendenz die Forschung aus dem Globalen Süden entgegen. In diesem Sinn untersucht Peace A. Medie (2017) vergeschlechtlichte Gewaltdynamiken während und nach Konflikten und Soumita Basu (2016) die Debatten um die Sicherheitsresolution 1325 der Vereinigten Nationen. Insbesondere Basu rückt den Beitrag und die Handlungsmacht von Akteur*innen des Globalen Südens während der (Nicht-)Implementierung der Resolution ins Zentrum der Aufmerksamkeit. [5]