Frauenbewegung in Deutschland steht für kollektive Bestrebungen von vornehmlich Frauen in Gruppen, Organisationen und Netzwerken für die Gleichstellung der Geschlechter auf sozialer, kultureller, rechtlicher, wirtschaftlicher und politischer Ebene unter Berücksichtigung der Differenz der Geschlechter (vgl. Gerhard, 1999, S. 87). Erste Betrachtungen von Frauenbewegungen als Phänomen und Gegenstand der Wissenschaft finden sich bereits im 19. Jahrhundert und nehmen im 20. Jahrhundert deutlich zu. Während in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Publikationen erscheinen, die sowohl die kulturellen Bedingungen von Frauenbewegungen national und international als auch die Werke und Biographien von historischen Protagonistinnen untersuchen (vgl. Lange & Bäumer, 1901–1906; Adler, 2014 [1906]), kommt es im Nationalsozialismus und nach 1945 nahezu zu einem Stillstand der Forschung in Deutschland. Ab den 1970er Jahren nehmen historiographische Studien zur Frauenbewegung zu, die als Teil der Frauenforschung das Handeln von Frauen in der Vergangenheit systematisch sichtbar machen wollen. Mit diesem geschichtswissenschaftlichen Zugang werden auch eine feministische Wissenschaftskritik und die Forderung nach einer Neuschreibung der Geschichte formuliert, in der Frauen Akteurinnen der Geschichte sind. Ein weiterer Ansatz zur Erforschung von Frauenbewegungen kommt seit den 1970er Jahren aus der sozialen Bewegungsforschung. Diese erfuhr zunächst Kritik, da sie Frauenbewegung nicht in ihrer Gesamtwirkung als eigenständige und politische, sondern lediglich als thematisch begrenzte Bewegung analysierte. In einer erweiterten Perspektive ist sie heute selbstverständlicher Teil einer transnationalen Bewegungsforschung, die kollektives soziales Handeln unter Berücksichtigung politischer Kontexte, ihrer Transformationen und Gelegenheitsstrukturen analysiert (vgl. Gerhard, 2008; Lenz, 2004). [1]
Der Beginn der ‚Alten Frauenbewegung‘ (=‚erste Welle‘) wird um die 1848er Revolution datiert (vgl. Gerhard, 1990; Nave-Herz, 1993; Hervé, 1998a). In den 1860er Jahren entstanden zwei Hauptströmungen: die bürgerliche und die proletarische Frauenbewegung. Für beide Richtungen lassen sich trotz unterschiedlicher Zielsetzungen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Gleichzeitigkeiten aufzeigen. Mit der Gründung des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ (ADF) im Jahr 1865 begann die organisierte bürgerliche Frauenbewegung. Auguste Schmidt (1833–1902), Henriette Goldschmidt (1825–1920) und Louise Otto-Peters (1819–1895) zählen zur ersten Generation aktiver Frauen, wobei Letztere als die Gründerin der bürgerlichen Frauenbewegung gilt (vgl. Schötz, 2003; Gerhard, Pommerenke & Wischermann, 2008). Die bürgerliche Frauenbewegung kämpfte für den Zugang zur höheren Bildung und das Recht auf Arbeit in der bestehenden Klassengesellschaft, die im Zuge der Industrialisierung entstanden war, und bezog dabei Arbeiterinnen mit ein. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden vermehrt Arbeiterinnenvereine, u. a. der „Verein zur Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen“, die sich nach der Verabschiedung der Sozialistengesetze (1878) informell und in Netzwerken für bessere Arbeitsbedingungen und für gleichen Lohn einsetzten. Interessenskämpfe innerhalb der proletarischen Frauenbewegung gab es zwischen revolutions- und reformorientierten Lagern (vgl. Wurms, 1998, S. 65–81). Ein prominenter Unterstützer der proletarischen Frauenbewegung war August Bebel (1840–1913), der die Notwendigkeit der Befreiung der Frau als Voraussetzung für eine gleichberechtigte sozialistische Gesellschaft bewertete (vgl. Bebel, 1979 [1879]). Clara Zetkin (1857–1933) gilt als maßgebende Vertreterin der proletarischen und gleichzeitig als Kritikerin der bürgerlichen Frauenbewegung (vgl. Bauer, 1984). Während sich die proletarische Frauenbewegung als Teil der Arbeiterbewegung verstand und die bestehende kapitalistische Wirtschaftsordnung kritisierte, kämpfte die bürgerliche für gleiche Rechte, welche von Frauen in der bestehenden Gesellschaftsordnung erreicht werden sollten. Helene Lange (1848–1930) trat ab Ende des 19. Jahrhunderts erfolgreich für die höhere Mädchenschulbildung und die Zulassung von Frauen zum Studium ein. Im „Bund deutscher Frauenvereine“ (BDF) schlossen sich ab 1894 gemeinnützige bürgerliche Frauenvereine zusammen, um für die Förderung von Frauen auf wirtschaftlicher, rechtlicher, sozialer und geistiger Ebene zu kämpfen. Über spezifische Themen wie die bürgerliche Ehe- und Familienreform, den § 218 RStGB (der Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe stellte), das Immatrikulationsrecht, die Hausarbeitstätigkeit und das Frauenwahlrecht wurde trotz gemeinsamer Grundziele kontrovers diskutiert (vgl. Nave-Herz, 1993, S. 38–46). Im „Verband für Frauenstimmrecht“ kämpfte ein radikaler Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung, darunter u. a. Anita Augspurg (1857–1943) und Helene Stöcker (1869–1943), für das Frauenstimmrecht, das nicht von allen Verbänden angestrebt wurde. Weitere Konflikte gab es bspw. zu Themen wie Sexualität und Mutterschutz für unverheiratete Frauen (vgl. Hamelmann, 1992). [2]
Ab 1900 nahmen antifeministische Stimmen zu, wie z. B. aus dem „Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation“, die sich öffentlich gegen Frauenwahlrecht, gemeinsame Bildung für Jungen und Mädchen sowie gegen Frauenarbeit aussprachen (vgl. Planert 1998, S. 118–124). Trotz solcher Gegenstimmen führten die Aktivitäten der Frauenbewegungen jedoch zu Erfolgen und Gesetzesänderungen – z. B. zur Vereinsfreiheit (1908), zum Immatrikulationsrecht (1900–1909) und zum Wahlrecht (1918) (vgl. Greven-Aschoff, 2011, S. 185–188). Die ersten Parlamentarierinnen in der Weimarer Republik setzten die Bestrebungen von Frauen in den sog. Frauengesetzen politisch um. Dazu zählten u. a. Mindestlöhne und Sozialversicherung für Heimarbeiterinnen (1924) und die Erweiterung des Mutterschutzes (1927). In den 1920er Jahren lösten sich viele Frauenvereine auf, die die Ziele der Frauenbewegung als erreicht bewerteten. Die sog. Gleichschaltung im Nationalsozialismus zwang Frauenverbände, darunter den BDF, sich den nationalsozialistischen Organisationen – „NS-Frauenschaft“ (NSF) und „Deutsches Frauenwerk“ (DFW) – anzuschließen oder sich aufzulösen. Die Organisationen der proletarischen Frauenbewegung wurden, wie auch die sozialistischen und sozialdemokratischen Verbände, verboten. Unter dem nationalsozialistischen Regime wurden u. a. das passive Wahlrecht und die Zulassung zur Habilitation zurückgenommen, Frauen aus gehobenen Berufen verdrängt sowie die Immatrikulation von Studentinnen eingeschränkt (vgl. Hervé, 1998b). [3]
In der Nachkriegsphase entstanden in allen vier Besatzungszonen regionale Frauenverbände, z. B. der „Berliner Frauenverbund 1945 e.V.“, die sich für politische Partizipation und Frauenrecht einsetzten. In der BRD kämpften Frauen wie die Politikerin Elisabeth Selbert (1896–1986) gemeinsam mit Frauenrechtsorganisationen für die Gleichberechtigung der Geschlechter im Grundgesetz (vgl. Holz, 2004; Schüller, 2005). 1951 wurde in der Tradition des BDF der „Informationsdienst für Frauenfragen e. V.“ als Interessenvertretung und Vorläufer des „Deutschen Frauenrates“ (1969) gegründet (vgl. Icken, 2002). Die Form des politischen Engagements änderte sich in der BRD Ende der 1960er Jahre mit dem Beginn der ‚Neuen Frauenbewegung‘ (=‚zweite Welle‘) (vgl. Schulz, 2002, S. 76–96; Lenz, 2009, S. 11; Dehnavi, 2013). Frauen initiierten informelle Aktionsgruppen, die sich zunächst an den Theorien der Studentenbewegung und der ‚Neuen Linken‘ orientierten und sich im Laufe der 1970er Jahre von diesen distanzierten. In Räten und Selbsterfahrungsgruppen diskutierten Frauen über geschlechterspezifische Arbeitsteilung, alternative Erziehungspraktiken, Sexualität, Verhütung, Abtreibung, Gewalt und Homosexualität (vgl. Anders, 1988) und forderten die Aufhebung der Trennung des Privaten vom Politischen, wodurch das Private politisch relevant und gerecht organisiert werden sollte (vgl. Sander, 1988). Der wiederaufgenommene Kampf gegen den § 218 StGB führte zu öffentlichen Diskussionen und Frauenbündnissen. Ab den 1980er Jahren kam es zur Institutionalisierung und Professionalisierung in Verbänden, Parteien und Wissenschaft. [4]
In der DDR wurde der im Jahr 1947 in der Tradition der proletarischen Frauenbewegung gegründete „Demokratische Frauenbund Deutschlands“ (DFD) zu einer Massenorganisation der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Eine autonome Frauenbewegung formierte sich ab den 1980er Jahren. Unter dem Dach der Kirchen thematisierten Frauen Fragen zur Militarisierung und Erziehung, zu Gewalt sowie Homosexualität (vgl. Kahlau, 1990; Kuhrig, 1998; Miethe, 1999). Im Zuge der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten entstand eine ostdeutsche Frauenbewegung, die mit der Forderung nach politischer Partizipation an die Öffentlichkeit ging (vgl. Dölling, 1993). [5]
Eingefordert von der Neuen Frauenbewegung initiierten Frauen ab Mitte der 1970er Jahre in der BRD die Frauenforschung, die die Lebenssituationen von Frauen untersuchte. Zu einem Perspektivenwechsel von der Frauen- zur Geschlechterforschung kam es in den 1980er Jahren (vgl. Günther, 2011). Geschlecht als soziale und kulturelle Kategorie rückte in den Fokus. Begleitet wurde der Perspektivenwechsel von kontroversen theoretischen Debatten sowohl um Fragen zur politischen, sozialen und symbolischen Ordnung in der Gesellschaft als auch um die Dichotomien von Kultur/Natur, Mann/Frau sowie Gleichheit/Differenz und Konstruktion/Dekonstruktion. Dieser theoretische Diskurs hatte Einfluss auf die Themen und Programmatiken der Neuen Frauenbewegung. So geriet bspw. die Perspektive westlicher Feministinnen, die von einer einheitlich unterdrückten Gruppe der Frauen (global sisterhood) ausgingen, vor dem Hintergrund eines Differenzansatzes, in dem andere soziale Kategorien wie Klasse, ‚Rasse‘ und Kultur als Faktoren sozialer Ungleichheiten und Geschlechterhierarchien berücksichtigt wurden, in Kritik (vgl. Lenz, 2009, S. 917–920). [6]
Die Zeit ab 1990 wird als Phase der Neuorientierung und Internationalisierung von Frauenbewegungen als globale Frauenbewegung (=‚dritte Welle‘) diskutiert, die sich im Zuge neuer Formen nationaler und internationaler Politik entwickelt hat und Frauen- und Genderfragen im Kontext von Politik, Wirtschaft und Recht transnational problematisiert (vgl. Dackweiler, 2000; Lenz, 2004, S. 672–674; Wichterich, 2007). Gleichzeitig führte die zunehmende Institutionalisierung von Frauenfragen durch Wissenschaft, Frauenforschungszentren und Gleichstellungsbeauftragte zu Diskussionen um das Verhältnis von Geschlechterforschung, Feminismus und Frauenbewegung sowie über die Bedeutsamkeit und Ausrichtung zukünftiger Frauenbewegungen (vgl. Metz-Göckel, 2008, S. 891–892). Die verschiedenen Strömungen der deutschen Frauenbewegung seit dem 19. Jahrhundert werden seither als miteinander verbundene ‚lange Wellen‘ betrachtet, womit auf gemeinsame Erfolge, Rückschläge und unabgeschlossene Anliegen verwiesen wird (vgl. Gerhard, 1995). [7]