Frauen- und Geschlechtergeschichte verfolgt das Anliegen, die Gewordenheit von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen zu verstehen, bisherige Darstellungen darüber kritisch zu hinterfragen und neue Erzählungen des Vergangenen für die Gegenwart zu entwickeln. Geschichtsschreibung beabsichtigt, die Vergangenheit darzustellen. Sie drückt das Prozesshafte des gesellschaftlichen Werdens aus und wendet sich gegen die Ahistorisierung von Ideen, Ereignissen und Zuständen. Zugleich ist Geschichte von den Interpretationen und Narrativen ihrer Produzent_innen geprägt (vgl. Koselleck, 1975, S. 691–715). Im 19. Jahrhundert wird unter dem Einfluss des Historismus durch die Heranziehung von empirischen Methoden die Geschichtsschreibung ‚verwissenschaftlicht‘ (Lutz, 2003, S. 66–68). Diese ‚allgemeine‘ Geschichtswissenschaft beansprucht, die Vergangenheit anhand der Quellen so darzustellen, ‚wie es eigentlich gewesen ist‘ (vgl. Ranke, 2011 [1824], S. 94; Droysen, 2011 [1868], S. 199). Die damit einhergehenden Prämissen der Neutralität und Unparteilichkeit verschleiern jedoch ihre eigene Ideologieanfälligkeit (vgl. Nietzsche, 2009 [1884]; Troeltsch, 2008 [1922]; Wecker, 2007, S. 29–30). Materielle, ideologische und dabei auch geschlechterhegemoniale Konzepte werden durch die ‚allgemeine Geschichte‘ als ‚natürlich‘ dargestellt. Feministische Historiker_innen streben hingegen eine Emanzipation von einem Geschichtsverständnis an, das die Vergangenheit als ‚Geschichte großer Männer‘ darstellt, die Binarität der Geschlechter als gegeben ansieht und männliche Hegemonie reproduziert (vgl. Kelly-Gadol, 1977; Bridenthal & Koonz, 1977). Sie beforschen die historischen Dimensionen von Geschlechterordnungen, deren Transformationen sowie Intersektionen und Wechselwirkungen mit anderen Kategorien sozialer Differenz. Frauen- und Geschlechtergeschichte setzt sich eine Vergeschlechtlichung von historischen Narrativen, Methoden und geschichtstheoretischen Ansätzen wie Geschichte von unten, Ethnohistorie, Oral History und Alltags- und Mikrogeschichte zur Aufgabe. Dieser emanzipatorische Zugang lässt sich auch unter den Begriff feministische Geschichtswissenschaft fassen. Mit ihren multiperspektivischen, interdisziplinären, postkolonialen und intersektionalen Ansätzen (vgl. Cox, 1999) verfolgen feministische Historiker_innen nicht zuletzt auch geschichtskulturelle und -politische Ziele. [1]
Das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Frauengeschichte entwickelte sich in den USA und Westeuropa im Gefolge der zweiten Frauenbewegungen während der 1960er Jahre (vgl. Allen, 1996, S. 153; Bauer, 2002, S. 43). In Deutschland führten die Frauenbewegungen der Nachkriegszeit nicht nur zur Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Missständen, sondern auch mit überkommenen Geschichtsbildern (Hauch, 2003, S. 23; Dehnavi, 2016). Eine erste Forderung war und ist es bis heute, Frauen als Handelnde in der Geschichte sichtbar zu machen. Gisela Bock (1983) plädierte Anfang der 1980er Jahre dafür, dass sich das Anliegen einer gleichberechtigten Darstellung nicht in einer bloßen Ergänzung der ‚allgemeinen Geschichte‘ unter Beibehaltung der darin verankerten Geschlechterhegemonie erschöpfen könne. Aus Sicht der neu entstehenden Frauengeschichte müsse die gesamte ‚allgemeine Geschichte‘ und ihr Universalitätsanspruch hinterfragt werden, ignoriere diese größtenteils doch seit ihren Anfängen Frauen als Akteurinnen sowie Produzentinnen von Geschichte (vgl. Bock, 1983, S. 23, 26; Habermas, 2006, S. 234–235). [2]
Für die Ausrichtung und weitere Institutionalisierung war die durch Ann Oakley (1972) weiterentwickelte Unterscheidung zwischen biologischem (sex) und soziokulturellem Geschlecht (gender) maßgeblich. Nach Oakley konnte sich die Frauen- und Geschlechtergeschichte dadurch unabhängig von der Diskussion über die menschliche ‚Natur‘ und der von ihr determinierten Attribute auf die soziokulturell konstruierten Eigenschaften der Geschlechter fokussieren und deren historische und sozioökonomische Gemachtheit, deren politische Ökonomie, zeigen (vgl. Oakley, 1972; Rubin, 2006; Geimer, 2013). In diesem Sinne stellte Karin Hausen (1976) anhand zeitgenössischer bürgerlicher Zuschreibungen für Männer und Frauen die These einer zweigeteilten Geschlechterordnung seit etwa 1800 auf, die den Männern den Bereich des öffentlichen, den Frauen den Bereich des privaten Lebens zuteile sowie eine allumfassende Charakterisierung der Geschlechter in ihren Eigenschaften und Emotionen bewirke. Diese von ihr durch das Zurückdrängen der Ständeordnung und das Aufkommen einer bürgerlichen Herrschaftsdeutung erklärte Zäsur, wurde von feministischen Historiker_innen für die fehlende Repräsentation von Frauen seit dem 19. Jahrhundert in der Geschichtsschreibung herangezogen (vgl. Mazohl-Wallnig, 1996). [3]
Joan W. Scott (1986) rückt im Anschluss an Michel Foucault (1926–1984) (1983) das soziale Geschlecht als ‚nützlich‘ bezeichnete Kategorie gegen Ende der 1980er Jahre ins Zentrum der Frauen- und Geschlechtergeschichte: Durch die Kategorie Gender sollen nicht nur die soziokulturellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern dekonstruiert, sondern auch die als ‚natürlich‘ wahrgenommenen Eigenschaften von Frauen und Männern als diskursiv in der Sprache und damit als Machtprodukt untersucht werden. Insoweit wird auch gegen die Ungeschichtlichkeit des Körpers und den damit verbundenen naturwissenschaftlichen Diskurs argumentiert bzw. gegen das naturalistische Weltbild, das seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts als Deutungsschema für die Gesellschaft postuliert wird und die Geschlechterrollen prägt (vgl. Duden, 1987, S. 8–9; Honegger, 1991). So ist die Dichotomie zwischen Kultur und Natur eine konstruierte, die jedoch Frauen strukturell benachteiligt (vgl. Braun & Stephan, 2005). Gender und die damit verbundene Reflexion von geschlechtlichen und sexuellen Identitäten ermöglichen die Erörterung spezifischer Männerlebenswelten, zum Beispiel bei Militär oder Vereinen (vgl. Frevert, 2000; Theweleit, 1977, 1978). Die Erweiterung des Forschungshorizonts durch die Kategorie Gender drückt sich im deutschen Sprachraum durch die Institutionalisierung von Frauen- und Geschlechtergeschichte seit den 1980er Jahren aus. Im anglo-amerikanischen Raum erfuhr Scotts Konzept von Gender mehr Widerspruch (vgl. Scott, 2008); eine eigenständige Geschlechtergeschichte findet sich in den Vereinigten Staaten von Amerika im Übrigen selten, sie ist vielmehr Teil der Women’s History (vgl. Cott & Pleck, 1979). [4]
Die Frauen- und Geschlechtergeschichtsforschung weist die Besonderheit auf, dass sie nicht zur Gänze von ihrer ursprünglichen Genese, nämlich den Emanzipationsbewegungen, losgelöst werden kann: Wenn die Geschichtswissenschaft nahelegt, dass Geschlechterrollen ein Produkt historischer Prozesse seien, sind die Geschlechterzuschreibungen ebenso in der Gegenwart gestaltbar, Privilegierungen und Benachteiligungen überwindbar. Ein gewisses Spannungsverhältnis besteht vor allem darin, sich einerseits der Bemühungen anzunehmen, Frauen als homogene Gruppe zu erforschen, um auch einer breiten feministischen Bewegung als Argumentationsgrundlage zu dienen; andererseits weder zeitliche oder räumliche Kontexte noch andere, sich nicht selten auch überkreuzende Kategorien sozialer Differenz wie z. B. class, race oder auch Religion auszublenden (vgl. Riley, 1996, S. 21; Scott, 1996; Walgenbach, 2005; Mommertz & Oppitz-Belakhal, 2008). [5]
An Universitäten im deutschsprachigen Raum ist die Frauen- und Geschlechtergeschichte, wenn auch prekär, institutionell und curricular verankert. Methodisch und theoretisch bewegt sie sich zwischen den Gender Studies, der Queer Theory (vgl. Butler, 1991, 1997), den Critical Whiteness Studies, der Critical Race Theory sowie zeit- und ideengeschichtlichen Debatten über Periodisierungen und Historiographie (vgl. Hausen, 1998), Identität und widersprüchlichen Subjektpositionen (vgl. Alexander, 1984; Ulbrich, 1999; Knapp, 2005), Familie bzw. Verantwortungsgemeinschaften (vgl. Gerhard, 2010; Maihofer, 2014), Materialitäten, Körper und Sexualitäten (vgl. McNay, 1992; Angerer, 1994; 1997; Eder, 2002) sowie in spezifischen Kontexten, wie dem Recht (vgl. Gerhard, 1997; Reiter-Zatloukal 2007). Die Ambivalenz von geschlechtlichen und sexuellen Handlungsräumen, aber auch klandestine und offene Formen der Subversion, des Unterlaufens von Geschlechternormen in Vergangenheit und Gegenwart, werden thematisiert (vgl. Honegger & Heintz, 1984). Mittlerweile liegen umfassende Publikationen zu Lebenswirklichkeit und Wirken von Frauen von der Antike bis zur Gegenwart vor (vgl. Duby & Perrot, 1993–1995). Die Mehrzahl der Forschungsarbeiten konzentriert sich dabei auf die letzten beiden Jahrhunderte (vgl. Bock, 2014; Opitz-Belakhal, 2010; Paulus, Silies & Wolff, 2012). [6]