Feministische Mädchenarbeit bezeichnet die in den 1970er Jahren entstandene, in der Jugendarbeit verortbare pädagogische Arbeit von Frauen mit Mädchen (vgl. Schmidt, 2002, S. 80; Schmitz, 2014, S. 97–98), die auch Mädchenpolitik umfasst (Arapi & Lück, 2005, S. 37). Die Konzeptionen und das Selbstverständnis von Mädchenarbeit basieren auf feministischen Theorien (vgl. Schmitz, 2014), als Impulsgeberin gilt die Frauenbewegung. Ob feministische Mädchenarbeit ein Teil dieser war, ist umstritten (Wallner, 2006, S. 33–38). Sie selbst versteht sich als „kleine Schwester der Frauenbewegung“ (Güntner & Wieninger, 2010, S. 121) und „politische Akteurin“ (Lohner & Stauber, 2016, S. 56). Galt der politische Anspruch anfangs dem Erkämpfen geschlechtshomogener Freiräume in und aufgrund von patriarchalen Strukturen (vgl. Wallner, 2014, S. 43), liegt er heute u. a. in der Weiterentwicklung dieser Räume durch Aneignung queerer Politiken (vgl. Schmitz, 2014, S. 107) und in der Etablierung sogenannter Empowermenträume im Kontext rassismuskritischer bzw. antirassistischer Mädchenarbeit (vgl. Arapi & Lück, 2005; Arapi, 2014; Yiligin, 2010). Der seit 2010 genutzte Begriff ‚Mädchen_arbeit‘ ist ein Produkt dekonstruktivistischer und queer-feministischer Rezeptionen (vgl. Pohlkamp, 2010, 2014; Schmitz, 2014). Das 1991 eingeführte Kinder- und Jugendhilfegesetz (Bronner & Behnisch, 2007, S. 27) und die Verankerung des Gender Mainstreaming (vgl. Wegrzyn, 2014) in den Kinder- und Jugendplan-Richtlinien 2001 bilden die Rechtsgrundlage der Mädchenarbeit in Deutschland (vgl. Güntner & Wieninger, 2010, S. 127, 136). [1]
Als Beginn von Mädchenarbeit in der BRD wird der Kongress „Feministische Theorie und Praxis in sozialen und pädagogischen Berufsfeldern“ von 1978 diskutiert, da auf diesem erstmals Grundsätze der Mädchenarbeit präsentiert wurden (vgl. Schmitz, 2014, S. 99; Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V., 1979; Berliner Pädagoginnengruppe, 1979). Zeitgleich entstand in den 1970er Jahren auch in Großbritannien mit feminist youth work (Spence, 2006) ein der Mädchenarbeit ähnliches Konzept. In Österreich und der Schweiz existiert Mädchenarbeit seit den 1980er bzw. 1990er Jahren (vgl. Lugstein, 2002; Nabholz, 2002). Mädchenarbeit entstand als Antwort auf eine koedukative, aber jungenorientierte (offene) Jugendarbeit (vgl. Wallner, 2006, S. 28–30), in der weibliche Pädagoginnen unterrepräsentiert waren (vgl. Savier & Wildt, 1978, S. 16–17; Schmidt, 2002, S. 82) und die mit dem Slogan „Jugendarbeit ist Jungenarbeit“ (Wallner, 2006, S. 70; zur Jungenorientierung vgl. Sielert, 2013, S. 81) charakterisiert wurde. Sie bildete sich mit dem Ziel heraus, Mädchen als gesellschaftlich relevante Zielgruppe (Savier & Wildt, 1978, S. 166) zu stärken (vgl. Wallner, 2014, S. 43). Als Teil der institutionalisierten Jugendarbeit etablierte sie sich infolge des 6. Jugendberichts, in dem die Jungenorientierung in der Jugendarbeit ein weiteres Mal festgestellt und kritisiert sowie ein Bedarf an Mädchenarbeit formuliert wurden (vgl. Sachverständigenkommission Sechster Jugendbericht, 1988). Bezüge bildeten zunächst gleichheits- und differenzfeministische Konzepte. Während sich Gleichheitsfeminismus durch Kritik an Ungleichheit auszeichnet und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern anstrebt (vgl. Penkwitt & Mangelsdorf, 2003, S. 30), ist es das Ziel des Differenzfeminismus, die „Gleichwertigkeit beider Geschlechter unter Anerkennung ihrer Differenz“ (Lenz, 2008, S. 33) zu erreichen. Ende der 1990er Jahre wurden beide Bezugskonzepte als veraltet sowie der Zielgruppe nicht mehr entsprechend kritisiert, und es wurde ein „Paradigmenwechsel“ (Meyer & Seidenspinner, 1998, S. 58) gefordert. Dieser sollte einen stärkeren Rekurs auf aktuelle feministische Theorien beinhalten und die konzeptionelle Stagnation überwinden (vgl. Meyer & Seidenspinner, 1998, S. 60, 62). [2]
Neben Parteilichkeit, Partizipation und Ganzheitlichkeit gelten geschlechtshomogene Räume als Grundprinzip der Mädchenarbeit. Diese fungierten anfangs ausschließlich als ‚Schutzräume‘ vor Gewalt, Dominanz, Beobachtung und Wertung durch männliche Personen (vgl. Wallner, 2014, S. 43; Güntner & Wieninger, 2010, S. 123–126; Klees, Marburger & Schumacher, 1989, S. 35–38). Geschlechtshomogene Räume entstanden baulich und symbolisch (vgl. Bitzan & Daigler, 2001, S. 51): als Zimmer in Jugendhäusern und Einrichtungen ausschließlich für Mädchen sowie als Strukturen und Angebote für deren Anliegen und Bedürfnisse (vgl. Bronner & Behnisch, 2007, S. 33; Wallner, 2014, S. 43–44). Als Folge einer patriarchatskritischen ‚Täter-Opfer-Analyse‘ waren männliche Personen „stellvertretend für patriarchale Verhältnisse“ (Wallner, 2014, S. 43) in diesen Räumen nicht geduldet. Auch galt dieser Schutzraum teilweise als Freiraum zum Experimentieren und Kennenlernen eigener Stärken und um Handlungsspielräume zu erweitern (Schmitz, 2014, S. 101). Sowohl beim Ansatz des Schutz- als auch bei dem des Experimentierraums wird Mädchen und Pädagoginnen eine „gemeinsame Betroffenheit“ (Schmitz, 2014, S. 102) zugeschrieben. Konzepte queer-feministischer und heteronormativitätskritischer Mädchen_arbeit (u. a. Schmitz, 2014) stehen dagegen im Kontrast zum „Paradigma der Geschlechtshomogenität“ (Pohlkamp, 2014, S. 162) und stellen dessen Legitimation in Frage (Lohner & Stauber, 2016, S. 59): Durch Trans*-Besucher_innen (vgl. Kleiner & Scheunemann, 2016) einerseits und die Rezeption dekonstruktivistischer sowie queer-feministischer Theorien andererseits sah sich die Mädchenarbeit mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie per Zielgruppenverständnis Heteronormativität (u. a. Kleiner, 2016) reproduziere und „deviante Subjekte“ (Hark, 1999, S. 181) ausschließe (vgl. Schmitz, 2014; Pohlkamp, 2010). Als Reaktion auf diese Kritik entstand ein Raum, in dem „vielfältige (geschlechtliche und sexuelle) Identitäten/Selbstkonstituierungen und Praktiken“ (Pohlkamp & Rauw, 2010, S. 23) erfahrbar werden, wobei Konstruiertheit und Kontingenz von Identitäten (Schmitz, 2014, S. 102; Plötz, 2014) im Fokus stehen und ‚Mädchen‘ somit nicht als eindeutige, widerspruchsfreie Kategorie zu denken sind. Dieser Raum, der auch als Trans*Raum (vgl. Pohlkamp, 2010) bezeichnet wird, ist ein Produkt (heteronormativitäts- und) selbstkritischer Reflexion der Mädchenarbeit über die eigenen konzeptuellen Widersprüche (vgl. Busche & Wesemüller, 2010). [3]
Die Implementierung der Konzepte Critical Whiteness und Empowerment (Arapi, 2013, S. 61; Herriger, 1997) als Voraussetzung für eine Mädchenarbeit mit Mädchen of Color löst seit den 2000er Jahren in Bezug auf Ethnizität und Migration eine Defizitorientierung ab. Diese war geprägt vom Bild des zu rettenden, unterdrückten Mädchen of Color (Yiligin, 2010). Empowermenträume für Mädchen of Color folgen dem Konzept sogenannter People of Color-Räume (Yiğit & Can, 2009) und bilden in der Mädchenarbeit einen Schutz- und Freiraum, in dem die Verschränktheit von Rassismus mit Geschlecht und Sexismus reflektiert und Widerstands- und Umgangsstrategien frei von weiß-deutscher Sichtweise entwickelt werden können (vgl. Arapi, 2014, S. 95, 99, 101; Yiligin, 2010, S. 121–122). Als Basis gesellschaftlicher Teilhabe von Mädchen und Pädagog_innen of Color (Yiligin, 2010, S. 122) erfordern Empowermenträume von Akteur_innen „weiß-deutsche[r] Zugehörigkeit“ (Yiligin, 2010, S. 121) ein Bewusstsein über Privilegien und verinnerlichte Rassismen (vgl. Arapi, 2013, 2014). [4]
Forschungen zu Mädchenarbeit widmen sich dem „heterogen strukturierten und hierarchisierten Diskursfeld“ (Kauffenstein & Vollmer-Schubert, 2014, S. 7) der Mädchenarbeit. Sie beinhalten diskursive Untersuchungen bezüglich konzeptioneller Ausgestaltungen und theoretischer Bezugnahmen sowie Evaluationen pädagogischer Praxen. Auf Praxisebene wurde durch Befragungen in Einrichtungen der Mädchenarbeit eine positive Bewertung geschlechtshomogener Räume von Seiten der Mädchen evident (vgl. Möhlke & Reiter, 1995, S. 135, 156). Das Gros der dabei Interviewten gab an, das Angebot zu nutzen, „[w]eil dort ausschließlich Mädchen [bzw.] keine Jungen sind“ (Möhlke & Reiter, 1995, S. 156). Weitere Forschung zur Haltung von Mädchen zur Bereitstellung und Nutzung geschlechtshomogener Angebote fehlt bislang. Fokus aktueller Untersuchungen ist die Weiterentwicklung der Mädchenarbeit bezogen auf Raumöffnung, Empowerment, Re-Politisierung und Machtkritik (Kauffenstein & Vollmer-Schubert, 2014, S. 9–11). Gegenstand ist v. a. „der kategoriale Ansatzpunkt von Mädchenarbeit“ (Kauffenstein & Vollmer-Schubert, 2014, S. 8): Diskutiert werden intersektionale Perspektiven (u. a. Busche, Maikowski, Pohlkamp & Wesemüller, 2010, S. 15), Reifizierungen (Nordhoff, 2014, S. 136), die Erweiterung der Kategorie Mädchen (vgl. Busche et al., 2010, S. 17) per Unterstrich (Mädchen_) als Symbol von „Heterogenität und Unabgeschlossenheit“ (Busche & Wesemüller, 2010, S. 316) und die Adressierung durch Mädchen_arbeit. [5]
Mädchenarbeit unterliegt einem Legitimationsdruck, der darüber erzeugt wird, dass ihre Zeitgemäßheit in Frage gestellt wird (Kauffenstein & Vollmer-Schubert, 2014, S. 7) und Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung als bereits durchgesetzt postuliert werden (vgl. Klinger, 2014). Während sich die Mädchenarbeitspraxis selbstkritisch weiterentwickelt und Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Ausschlüssen schafft, werden weiterhin Erhalt und Wert geschlechtshomogener Settings diskutiert (vgl. Lohner & Stauber, 2016, S. 57–62; Schmitz, 2014, S. 105; Kauffenstein & Vollmer-Schubert, 2014, S. 10), und es wird versucht, Ansätze, die eine Geschlechtshomogenität annehmen, kritisch-produktiv mit Konzepten einer heteronormativitätskritischen Mädchen_arbeit zu verbinden (vgl. Kauffenstein & Vollmer-Schubert, 2014, S. 10). [6]