Mit Frauen*rechten werden im Allgemeinen Grund- und Menschenrechte beschrieben, die für Frauen* und Mädchen* besonders relevant sind (vgl. Neuhold, Pirstner & Ulrich, 2003, S. 71; Cook, 1994, S. 3). Beispiele sind das Recht auf politische Partizipation, auf Bildung, auf Gesundheit oder auf körperliche sowie sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (vgl. Cook, 1994, S. 14–21; Mlinar, 1997, S. 14–18). Die Verletzung von Frauen*rechten droht insbesondere in Situationen geschlechtsbezogener oder sexueller (Kriegs-)Gewalt (vgl. MacKinnon, 2006a, 2006b; Markard & Adamietz, 2008), bei Zwangsverheiratung und Minderjährigenehen (vgl. Strasser & Holzleithner, 2010), der Beschränkung reproduktiver Freiheit (vgl. Sen, 1996; Cook, Dickerns & Fathalla, 2005) oder im Zusammenhang mit Flucht und Migration (vgl. Lembke & Foljanty, 2012; Lehnert, 2014; Rössl, 2016). Um zu betonen, dass es sich bei Frauen*rechten um Menschenrechte handelt, wird synonym auch der Begriff Menschenrechte von Frauen* verwendet. Der Begriff der Frauen*rechte erscheint aus poststrukturalistischer feministischer Perspektive problematisch, da er Geschlechterbinarität und damit Differenz reproduziere (vgl. Baer, 2001, S. 143–145; Gerhard, 1990; Gerhard, Jansen, Maihofer, Schmid & Schultz, 1990) und ihm ein essentialisierender Gleichheitsanspruch inhärent sei, der Frauen* als homogene Gruppe mit gleichen Bedürfnissen konstruiere (vgl. Charlesworth, 1994, S. 60). [1]
Der Begriff Frauen*rechte ist im globalen Norden eng mit Frauen*rechtsbewegungen und ihren Forderungen verknüpft, auch wenn sich deren Aktivitäten nicht auf die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung beschränken und im breiteren Kontext emanzipatorischer Kämpfe für sozialen Wandel zu verorten sind (vgl. Gerhard, 1978, 1997; Clemens, 1988; Flexner, 1982 [1959]). Bereits Ende des 18. Jahrhunderts kam es zu Kodifikationsanregungen von Frauen*rechtsaktivistinnen, die die volle rechtliche, politische und soziale Gleichstellung von Frauen* mit Männern* forderten, teilweise jedoch unter einer Perspektive, die Differenzen zwischen Männern* und Frauen* feststellt und die Geschlechter insofern essentialisiert. Beispiele sind Olympe de Gouges' (1748–1793) Droits de la femme et de la citoyenne (1791) (Gaulier, 2003) oder Mary Wollstonecrafts (1759–1797) Vindication of the Rights of Women (1791; Tomaselli, 1995) (vgl. Maihofer, 1995, S. 159–160; Gerhard, 1978, S. 133, 1990, S. 49–72). Forderungen bezogen sich auf politische und gesellschaftliche Partizipation, insbesondere durch das Stimmrecht, und auf das Recht auf Bildung und Gleichstellung im Familienrecht, etwa bezüglich der Elternrechte, des Ehegüter- und Scheidungsrechts (vgl. Gerhard, 1978, S. 164–189, 1990, S. 142–167; Berneike, 1995, S. 21–23, 26–28). Die erste Welle der Frauen*bewegungen (vgl. Dehnavi, 2016) schrieb der formalen Etablierung gleicher Rechte, trotz interner Auseinandersetzungen zwischen bürgerlichen und proletarischen Gruppen (vgl. Wapler, 2012, S. 40–43), eine besondere Bedeutung für die Lösung der ,Frauenfrage‘ zu, „weil nur von der Grundlage verbürgter Rechte […] an ihre sichere Lösung überhaupt erst gedacht werden kann“ (Augspurg, 1895, zit. n. Meder, Duncker & Czelk, 2010, S. 43). Das Familienrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB, in Kraft seit 1900) blieb dennoch bis in die 1950er Jahre patriarchal strukturiert (vgl. Wapler, 2012, S. 42–43; Schwab, 1997). Mit der Verabschiedung des Satzes „Frauen und Männer sind gleichberechtigt“ in Art. 3 Abs. 2 des deutschen Grundgesetzes (GG, in Kraft seit 1949) setzte die außerparlamentarische Frauen*bewegung eine bedeutende rechtspolitische Forderung durch (vgl. Wrase & Klose, 2012, S. 89–90; Degener, 1997). Die zweite Welle der Frauen*bewegungen forderte die praktische Umsetzung der verfassungsrechtlich verbürgten Gleichberechtigung. Ungleichbehandlungen im Familienrecht, Gewalt an Frauen* oder das fehlende Recht auf Schwangerschaftsabbruch wurden zu wichtigen Feldern feministischen Rechtsaktivismus (vgl. Wapler, 2012, S. 49–51; Lembke, 2012b, S. 236–245). [2]
Das internationale Menschenrechtsregime, das sich aus Verträgen, Rechtsgewohnheiten und überwachenden Institutionen zusammensetzt, ist seit seinen Ursprüngen in der Zeit der Aufklärung durch eine Festsetzung des Mannes* bzw. des Männlichen* als Norm (male bias) gekennzeichnet (vgl. Baer, 2004, S. 558–560; Maihofer, 1995, S. 159–161). Den Bedürfnissen von Männern* wird der Vorrang gegeben, indem bürgerliche und politische vor wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die vor allem Frauen* betreffen, und indem der öffentliche vor den privaten Bereich, in dem Frauen*rechtsverletzungen gehäuft stattfinden, gestellt werden (vgl. Rajasingham, 1995, S. 234; Arnauld, 2006, S. 21–22). In Menschenrechtsinstrumenten wie der 1953 in Kraft getretenen Europäischen Menschenrechtskonvention oder den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen (United Nations, UN) von 1966 finden sich trotz des male bias im Völkerrecht Geschlechterdiskriminierungsverbote oder Gleichstellungsgebote (vgl. Schläppi, Wyttenbach & Ulrich, 2015, S. 10–13; Reanda, 1981; Elsuni, 2011). Die konkrete Weise, in der Frauen* von Verletzungen der kodifizierten Rechte anders als Männer* betroffen sind, ist erst seit wenigen Jahren Gegenstand von Analysen, und auch adäquate Maßnahmen dagegen werden erst nach und nach entwickelt und implementiert (vgl. Neuhold et al., 2003, S. 75). Auf der Ebene des internationalen Rechts gelang es feministischen Bewegungen auf den Frauenrechtskonferenzen der UN in den 1980er und 1990er Jahren, Frauen*rechte als Menschenrechte zu konzeptionieren (vgl. Chinkin, Wright & Charlesworth, 2005 [1991]; Mlinar, 1997; Deutsches Institut für Menschenrechte, 2006; United Nations, 2014; World Conference of Human Rights, 1993). Sie wurden 1993 auf der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien als „ein unveräußerlicher, integraler und unabtrennbarer Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte“ (World Conference of Human Rights, 1993, o. S.) anerkannt; gleichzeitig wurde deren Vorrang vor ihnen entgegenstehenden ‚kulturellen Traditionen‘ festgehalten (vgl. World Conference of Human Rights, 1993). [3]
Internationale Organisationen wie der Völkerbund und die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, ILO) erarbeiteten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts Ansätze zur Kodifikation von Frauen*rechten (vgl. Neuhold et al., 2003, S. 33); 1954 trat die Konvention über die politischen Rechte der Frauen (Convention on the Political Rights of Women, CPRW, United Nations, 1953) in Kraft, die das gleiche Wahlrecht sowie gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern und Funktionen für Frauen statuiert (vgl. Lembke, 2012a, S. 138). Die Kommission für die Rechtsstellung der Frau der UN (Commission on the Status of Women, CSW) erarbeitete die ersten sich ausschließlich auf Frauen*- und Genderfragen beziehenden Konventionen, darunter die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women, CEDAW, United Nations, 1979). Die CEDAW wurde 1979, im UN-Jahrzehnt der Frau (1976–1985), angenommen, trat 1981 in Kraft und enthält ein umfassendes Programm zur Gleichstellung von Frauen* und Männern* (vgl. Neuhold, et al., 2003, S. 50; Lembke, 2012a, S. 139–140; Schläppi et al., 2015, S. 8–9). Sie setzt Standards für die Gleichstellung in den Bereichen Politik, Bildung, Wirtschaft, Zivilrecht, Soziales und Familie. Kritiker*innen bemängeln, dass die CEDAW durch ihren Fokus auf die öffentliche Sphäre den Gleichheitsansatz des internationalen Rechts, dem eine männliche* Sichtweise zugrunde liegt, untermauere (vgl. Charlesworth & Chinkin, 2000, S. 231). Die CEDAW regelt jedoch in zumindest zwei Artikeln, dem Diskriminierungsverbot des Art. 2 und der Regelung zum Ehe- und Familienrecht des Art. 16, auch den privaten Bereich. Seit 1999 wird die CEDAW durch das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau ergänzt, das unter Beachtung des Prinzips der Staatensouveränität Individualbeschwerde- und Untersuchungsverfahren ermöglicht (vgl. König, 2006, S. 85). 2008 trat das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Convention on the Rights of Persons with Disabilities, CRPD, United Nations, 2006) in Kraft, das in Art. 6 die Gefahr von Mehrfachdiskriminierungen behinderter Frauen* und Mädchen* anerkennt (vgl. Lembke, 2012a, S. 144). Das 2014 in Kraft getretene Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung und Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention; Europarat, 2011) konzipiert Gewalt gegen Frauen* als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sowie als Menschenrechtsverletzung. Es ergänzt so die CEDAW, in der Gewalt gegen Frauen* nur implizit thematisiert und erst durch die Allgemeine Empfehlung Nr. 19 des CEDAW-Ausschusses explizit als Diskriminierung anerkannt wird (vgl. Ulrich, 2014, S. 4; Šimonović, 2014, S. 590; Logar, 2014, S. 356). Die Istanbul-Konvention basiert auf einem weiteren Gewaltbegriff, der „alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt [bezeichnet], die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsentziehung, sei es im öffentlichen oder privaten Leben“ (Art. 3). Sie sieht konkrete Verpflichtungen für die Vertragsstaaten in den Bereichen Politik, Prävention, Hilfen für die Betroffenen, Schutz, Strafverfolgung und Sanktionierung von Gewalt vor; so verlangt sie etwa mit Art. 36 die Schaffung eines Straftatbestands, der alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe stellt (Konsensprinzip; vgl. hierzu kritisch MacKinnon, 2016, S. 469–477). Die deutsche Rechtslage wurde dementsprechend reformiert: Wer gegen den erkennbaren Willen einer Person sexuelle Handlungen an dieser vornimmt, macht sich strafbar; flankiert wird dieser Grundsatz von weiteren Tatbestandskonstellationen, die der eingeschränkten Willensbildungsfähigkeit von Personen aufgrund verschiedener physischer, psychischer oder situativer Beeinträchtigungen Rechnung tragen (vgl. Bezjak, 2016). [4]
Kritik an der Konzeption von Frauen*rechten als Menschenrechte wird aus unterschiedlichen Richtungen geäußert (vgl. Engle, 2005). Kulturrelativistische Positionen lehnen die Konzeption von Frauen*rechten als Menschenrechte ab, da es sich dabei um westliche, imperialistische und nicht universal gültige Agenden handle. Ein aus dieser Perspektive als monolithischer Block konstruierter Feminismus sei eine im Westen entstandene ‚kulturelle Praxis‘. Menschen- und Frauen*rechte könnten stets nur relative Gültigkeit besitzen und seien nicht in gleichem Maße auf alle Kulturen anwendbar (vgl. Al-Hibri, 1999; Pollis & Schwab, 1979). Eher universalistisch argumentierende Feminist*innen wie Susan Moller Okin (1999) betonen in ihrer Kritik die Situation von Frauen* in ethnischen oder religiösen Minderheiten: Sie seien in ihrer durch sexistische Strukturen bedingten Marginalisierung innerhalb einer Minderheit mehrfach benachteiligt (vgl. auch Nussbaum, 1999). Postkoloniale Feminist_innen kritisieren die Erzählung von Geschichte als lineare, progressive Entwicklung und die Proklamierung von Menschenrechten als ein (neo)liberales Projekt, das die Gefahr der Perpetuierung der Anderen als Opfer birgt (vgl. Kapur, 2005; Brown, 2002). Queerfeministische Kritiker*innen beanstanden die Gefahr der Essentialisierung von Geschlecht bei der Schaffung spezifischer Frauen*rechtsinstrumente (vgl. Wehler-Schöck, 2006, S. 206–209; Baer, 2001) und fordern ein Umdenken von einer Frauen*- zu einer Genderperspektive, die Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen auch abseits des binären Mann*/Frau*-Modells und somit die Rechte von LGBT*I*Q-Personen in den Blick nimmt (vgl. Raue, 2006, S. 126; Otto, 2005; Lembke, 2014). [5]