Unter dem Begriff Intersektionalität wird die Verschränkung verschiedener Ungleichheit generierender Strukturkategorien verstanden. Intersektionale Theorie zielt daher darauf ab, das Zusammenwirken verschiedener Positionen sozialer Ungleichheit zu analysieren und zu veranschaulichen, dass sich Formen der Unterdrückung und Benachteiligung nicht additiv aneinander reihen lassen, sondern in ihren Verschränkungen und Wechselwirkungen zu betrachten sind. Durch die Beachtung verschiedener Strukturkategorien wie Geschlecht, Ethnizität, Klasse, Nationalität, Sexualität, Alter etc. soll gezeigt werden, dass keine dieser Kategorien alleine steht, sondern sowohl für sich als auch im Zusammenspiel mit den anderen einen die gesellschaftlichen Machtverhältnisse mitkonstituierenden Effekt hat. Die intersektionale Perspektive kann als Weiterentwicklung der Geschlechterforschung betrachtet werden und ermöglicht es, multiple Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse zu analysieren, die über die Kategorie Geschlecht allein nicht erklärt werden könnten. [1]
Sucht man nach historischen Wurzeln der Intersektionalitätsdebatte, waren es zunächst die Erfahrungen Schwarzer Frauen und Lesben, die sich im Feminismus westlicher weißer Mittelschichtsfrauen nicht wiederfanden, da die Rede von einer gemeinsam erfahrenen Unterdrückung qua Geschlecht vor dem Hintergrund rassistischer Ausgrenzung zu kurz griff. Das viel zitierte „Ain´t I a Woman?“ (1851) der Frauenrechtlerin und ehemaligen Sklavin Sojourner Truth (1798-1883) benannte dieses zentrale Problem der Frauenbewegung, welches in den 1970er Jahren von Schwarzen Feministinnen in den USA erneut aufgegriffen und als eindimensionales Verständnis von ‚global sisterhood’ verstärkt kritisiert wurde (vgl. Combahee River Collective, 1981). Grundlegend war dabei deren Hinweis, dass Frauen nicht nur wegen ihres Geschlechts unterdrückt werden, sondern auch wegen ihrer Hautfarbe und ihrer Klassenzugehörigkeit. Der Begriff intersectionality selbst wurde erstmals Ende der 1980er Jahren durch die amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw (1989) ins Spiel gebracht, die das Bild der Straßenkreuzung (englisch intersection), an der sich Machtwege kreuzen, überlagern und überschneiden, verwendete, um die Verwobenheit sozialer Ungleichheiten zu illustrieren. [2]
Inzwischen ist das Bild der Kreuzung in die Kritik geraten, da es auf einzelne Überkreuzungen oder Schnittmengen zielt und damit „tendenziell von isolierten Strängen ausgeht“ (Dietze, Hornscheidt, Palm & Walgenbach, 2007, S. 9), statt Beziehungen von Ungleichheit und Marginalisierungen in den Vordergrund zu stellen (vgl. Winker & Degele, 2009, S. 13). Daher gehen inzwischen einige Überlegungen dahin, mit dem Begriff Interdependenz statt Intersektionalität zu arbeiten, um die wechselseitigen Abhängigkeiten zu betonen (vgl. Walgenbach, Dietze, Hornscheidt & Palm, 2007). Ausgehend von der Frage nach der Übertragbarkeit des Konzepts und seiner Kernkategorien ins Deutsche, wird zudem an zwei weiteren Aspekten des Intersektionalitätskonzepts Kritik geübt (vgl. u. a. Knapp, 2005). So ist zum einen die Übersetzung der Kategorie Race umstrittenes Terrain, da der Begriff im Englischsprachigen durch eine jahrzehntelange Geschichte der politischen und theoretischen Wiederaneignung durch ethnisierte beziehungsweise rassisierte Sprecher_innen gekennzeichnet ist, die im Deutschen fehlt. Die wörtliche Übersetzung ‚Rasse‘ ist insofern problematisch, als dass diese unumgänglich auf nationalsozialistische Ideologien verweist, weshalb sie hierzulande weniger als kategoriale Ressource denn als Gegenstand kritischer Analysen dienen sollte (vgl. Minh-ha, Herrmann, Grižinić, & Rhomberg, 2001, S. 15). Das Ausweichen auf den Begriff der Ethnizität birgt hingegen die Gefahr, den dem Begriff Race inhärenten Rassismus zu dethematisieren (vgl. Lutz, Herrera Vivar & Supik 2010, S. 21-23). Wie dieses Problem zu lösen und welche Begrifflichkeit schlussendlich zu verwenden ist, kann nur im Kontext der jeweiligen Anwendungsfelder und nicht allgemein gültig entschieden werden. Zum anderen wird der zu Beginn dominierende Fokus auf die drei Kernkategorien Race, Class und Gender kritisiert und diskutiert, ob beziehungsweise auf wie viele weitere Ungleichheitskategorien er ausgeweitet werden sollte. Lutz & Wenning (2001, S. 20) benennen beispielsweise 13 bipolare bzw. hierarchische Differenzlinien: Geschlecht, Sexualität, ‚Rasse‘/Hautfarbe, Ethnizität, Nation/Staat, Klasse, Kultur, Gesundheit, Alter, Sesshaftigkeit/Herkunft, Besitz, Nord-Süd/Ost-West, Gesellschaftlicher Entwicklungsstand. Winker & Degele (2009, S. 59) schlagen die Analyse der Kategorien Geschlecht, Rasse, Klasse und Körper vor, betonen aber gleichzeitig, dass Sensibilität und Offenheit für weitere und neue Kategorien der Diskriminierung in der empirischen Forschung unabdingbar sind. Intersektionalität existiert also nicht als fertiges Konzept, sondern ist „abhängig von dem jeweiligen Erkenntnisinteresse“ (Knapp, 2008a), da es ein unmögliches Unterfangen darstellt, alle Kategorien gleichermaßen zu berücksichtigen, die an der Konstitution sozialer Ungleichheiten beteiligt sind. [3]
Leslie McCall (2001) unterscheidet drei methodologische Zugänge intersektionaler Analyse. Der anti-kategoriale Ansatz ist an dekonstruktivistische Theorien angelehnt und rückt die Analyse gesellschaftlicher Kategoriebildung und deren Kontingenz in den Fokus. Diese Perspektive zielt darauf, kategoriale Reifikationen aufzulösen und nachzuvollziehen, wie diese jeweils als gesellschaftliche Kategorien konstituiert sind (vgl. Klinger, 2003, S. 25). Mit dem intra-kategorialen Ansatz werden Differenzen bzw. Ungleichheiten innerhalb einer Kategorie in den Blick genommen, die auf Grund der zusätzlichen Zuweisung bzw. Zugehörigkeit zu weiteren Strukturkategorien entstehen bzw. mit diesen zu erklären sind. Der inter-kategoriale Ansatz fokussiert die Verwobenheit und Wechselwirkungen diverser Kategorien der Differenz, die Ungleichheit herstellen, und ihre dadurch unterschiedlich wirkenden sozialen Zuweisungen (vgl. McCall, 2001). Dieser Zugang ermöglicht es, Ungleichheitsverhältnisse und Machtstrukturen konkret zu benennen und danach zu fragen, wie Geschlechterverhältnisse, Klassenverhältnisse und Konfigurationen der Rassisierung und Ethnisierung in der Sozialstruktur und in der institutionellen Verfasstheit einer gegebenen Ökonomie und Gesellschaft, im nationalen wie im transnationalen Zusammenhang, verbunden sind (vgl. Knapp, 2008b, S. 46). [4]
Im wissenschaftlichen Kontext kann das theoretische Konzept Intersektionalität auch als Sensibilisierungsstrategie betrachtet werden: Es macht auf Schnittmengen von Diskriminierungen aufmerksam, sensibilisiert für die Prozesshaftigkeit binärer Differenzlinien und verdeutlicht zudem die jeweiligen Machtstrukturen und Herrschaftsverhältnisse, in die kategoriale Zuschreibungen eingebettet sind. Damit hat sich Intersektionalität zu einem in zahlreichen Disziplinen wie auch interdisziplinär Verwendung findenden Konzept entwickelt, das sowohl auf einer theoretischen als auch auf einer methodologischen Ebene angesiedelt ist. Auch in politischen Kontexten findet die Debatte um intersektionale Ungleichheitsverhältnisse zunehmend Eingang; so wird beispielsweise mehrdimensionale Diskriminierung in den Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union mit berücksichtigt (vgl. Baer, Bittner & Göttsche, 2010, S. 41-45). [5]