Trotz der etymologischen Verwandtschaft ist der Begriff der Maskerade im wissenschaftlichen Diskurs vom Begriff der Maske (entlehnt aus dem französischen masque für Gesichtslarve, Kostüm, Verkleideter; vgl. auch mittellateinisch masca für Hexe sowie arabisch maskharat für Possenreißer) zu unterscheiden, welcher in anthropologischen und theaterwissenschaftlichen Kontexten vor allem die Verkleidung des Gesichts in volkstümlich-rituellen Kontexten (antikes Theater, Commedia dell’arte, traditioneller Karneval) bezeichnet (vgl. Fischer-Lichte, 1994, S. 100-111; Weihe, 2004; Unger, 2007). Demgegenüber werden in den Theater-, Film- und Literaturwissenschaften sowie in der Philosophie und der Psychologie unter Maskerade vor allem Strategien der Inszenierung von Geschlechtsidentitäten verstanden, weshalb synonymisch häufig von Geschlechtermaskerade die Rede ist (vgl. Stritzke, 2008). [1]
Die für die Gesichtsmaske „spezifische […] Dialektik des Zeigens und Verhüllens“ (Weihe, 2004, S. 12) lässt sich auf Strategien der Geschlechtermaskerade übertragen, insofern auch bei dieser die Verstellung der eigenen (Geschlechts-)Identität mit der Vorstellung einer anderen einhergeht. Damit können sehr verschiedene Phänomene gemeint sein, die von der Pseudonymität weiblicher Autor_innenschaft (vgl. Tebben, 1998) bis hin zu alltagskultureller Performance und Körperinszenierung, etwa im Transvestitismus, reichen (vgl. Benthien, 2003). Die Vagheit des Begriffs bedingt einerseits seine interdisziplinäre Reichweite und Anschlussfähigkeit, begünstigt aber andererseits die „Gefahr unscharfer und beliebiger Verwendung“ (Bettinger & Funk, 1995, S. 9). Eine grundsätzliche Diskussion methodologischer Fragen steht bislang noch aus. Sie hätte die kritische und vergleichende Revision bestehender Konzeptualisierungen einzuschließen. [2]
Obwohl es bereits seit dem 18. Jahrhundert Ansätze gibt, die Weiblichkeit und Maskerade in Bezug zueinander setzen (unter anderem bei Jean-Jacques Rousseau, Friedrich Nietzsche oder Georg Simmel; vgl. Kleine, 1995; Stritzke, 2008), erfuhr der Begriff erst in den 1990er Jahren in den Gender Studies eine breite wissenschaftliche Rezeption, wobei sich Maskerade als „eines der Stichworte“ etablierte, „mit denen […] die Diskussion um die kulturelle Konstruiertheit der Geschlechter geführt wurde“ (Bettinger & Funk, 1995, S. 8). Maßgeblich beeinflusst wurde diese Diskussion durch die psychoanalytische Theoriebildung des 20. Jahrhunderts und den französischen Poststrukturalismus. Als zentraler Referenztext gilt Joan Rivieres 1929 veröffentlichter Aufsatz „Womanliness as Masquerade, in dem Riviere Maskerade als weibliche Defensivstrategie definiert, der zufolge „Frauen, die nach Männlichkeit streben, zuweilen eine Maske der Weiblichkeit aufsetzen, um die Angst und die Vergeltung, die sie von Männern befürchten, abzuwenden“ (Riviere, 1994, S. 35). [3]
Insbesondere durch die Weiterführung und Modifizierung durch Jacques Lacan hat Rivieres Konzept paradigmenbildend gewirkt, ist dabei allerdings nicht unumstritten geblieben und hat in den 1990er Jahren zu kontroversen Debatten in den Gender Studies geführt (vgl. Butler, 1990, S. 55-73; Apter, 1994, S. 200-201; Benthien, 2003). Kritisch werden vor allem der kompensatorische Begründungszusammenhang des psychoanalytischen Maskeraden-Diskurses und der zugrundeliegende defizitäre Begriff von Weiblichkeit gesehen, demgemäß Maskerade in erster Linie als Ausdruck eines Minderwertigkeitsgefühls der Frau gegenüber dem Mann definiert wird – sei es, indem Riviere die Inszenierung von Weiblichkeit als „eine Art defensiven Unterwerfungsreflex“ (Benthien, 2003, S. 38) beschreibt oder sei es, indem Lacan Maskerade „im Wesentlichen als eine ‚Zurückbannung‘ von Weiblichkeitsanteilen, mit dem Ziel, Phallus sein zu können“ (Benthien, 2003, S. 48), auffasst. [4]
Wichtige Impulse für den zeitgenössischen Diskurs haben Judith Butlers kritische Revision Rivieres und Lacans (vgl. Butler, 1990, S. 55-73) sowie die in ihrem Theorieansatz zentralen Kategorien der Performativität, Parodie und Travestie gegeben. Gemäß Butlers These, dass binäre Geschlechtsidentitäten nicht ‚sind‘, sondern diskursiv und kulturell produziert werden, wird der ontologische Status dessen, was ‚hinter‘ der Maskerade liegt, prekär, so dass das dekonstruktivistische Potenzial der Maskerade in den Fokus rückt. In den Men’ s Studies hat sich die Rezeption des Maskeraden-Konzepts in Bezug auf die Entessentialisierung des Männlichkeits-Begriffs sowie in Untersuchungen von Gender-Performanz in multimedialen Kontexten (Werbung, Fotografie, Film) als anschlussfähig erwiesen (vgl. Stephan, 2003). Beeinflusst durch Marjorie Garbers Kompendium „Vested Interest“ (1992) ist Maskerade des Weiteren im Zusammenhang mit Phänomenen des Cross Dressing behandelt worden (vgl. Lehnert, 1997; Penkwitt & Pusse 1999; Stoll & Wodtke-Werner, 1997). Während in Filmtheorie und -analyse die Ansätze von Riviere (vgl. Doane, 1994) sowie von Butler und Garber (vgl Liebrand, 1999) aufgegriffen wurden, wird die Anwendbarkeit des Maskeraden-Konzepts in Bezug auf interaktive Kommunikations- und Spielformen in den Neuen Medien (beispielsweise Internetchats und Online-/Videospiele) kontrovers diskutiert (vgl. Funken, 1999; Kuni 2004). [5]