Mentoring bedeutet im Wesentlichen die Weitergabe informeller Wissensbestände von einer erfahrenen an eine weniger erfahrene Person, von einer Mentorin bzw. einem Mentor an eine oder einen Mentee. Dieses Erfahrungswissen beinhaltet unter anderem die Informationen über Erwartungshaltungen im sozialen und beruflichen Umfeld, über günstige oder ungünstige Karrierewege sowie über Chancen und Barrieren in der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Damit dieses Wissen als Allgemeingut gesellschaftlich wirksam werden kann, bedarf es der Vermittlung durch Mentorinnen und Mentoren. Diese fungieren darüber hinaus ebenfalls als Vorbild und können sowohl das Wahrnehmungs- als auch das Handlungsspektrum der Mentees erweitern. Dabei wird durch die individuelle Begegnung mit einem Rollenmodell vor allem auch Persönlichkeitsentwicklung ermöglicht (vgl. Godshalk & Sosik, 2003). Mentoring-Programme unterstützen idealerweise Diskurse über die gesellschaftliche Verteilung von Geld, Macht und Anerkennung und ermöglichen individuelle, institutionelle sowie gesellschaftliche Revisionsprozesse. [1]
Ursache und Anlass von Mentoring sind in erster Linie die Bedürfnisse von Individuen oder Institutionen nach Förderung definierter Zielgruppen im Sinn von individueller Lernbegleitung oder Karriereunterstützung. Die Handlungsfelder umfassen Frauenförderung, Integration, Wissensmanagement, Personalentwicklung, organisationalen Wandel oder die Vorbereitung auf Berufstätigkeit (vgl. Höher, 2014). Da der Begriff Mentoring im deutschsprachigen Raum bislang noch ungeschützt ist, wird seit 2006 an der Entwicklung von Kriterien für effektives Mentoring gearbeitet (Forum Mentoring e.V.; Deutsche Gesellschaft für Mentoring e.V.). Diese anwendungsorientierten Kriterien beziehen sich auf die drei wesentlichen Pfeiler strukturierter Mentoring-Programme. Dazu gehört zunächst die konzeptionell grundlegende, individuelle Mentoring-Beziehung. Diese muss nicht ausschließlich in der klassischen Variante der Partnerschaft zwischen Mentorin bzw. Mentor und Mentee stattfinden (One-to-one-Mentoring), sondern kann auch eine Gruppe von Mentees mit einer Mentorin oder einem Mentor zusammenbringen (Peer-Mentoring), oder in Form eines Group-Mentoring, ganz ohne Mentorin oder Mentor, gestaltet werden. Insbesondere in Mentoring-Programmen für jüngere Zielgruppen (Youth-Mentoring) wird auch das sogenannte E-Mentoring mittels elektronischer Medien eingesetzt. Der zweite wichtige Faktor für Mentoring-Programme sind Rahmenveranstaltungen zum Netzwerkaufbau und zur überfachlichen Qualifikation, zum Beispiel durch Seminare zu verschiedenen Themen wie Konfliktmanagement, Präsentationstechniken oder Karrierestrategien. Damit diese beiden Elemente des Mentoring tatsächlich ihre Wirkung entfalten können, werden definierte materielle und ideelle Ressourcen sowie institutionelle Unterstützungen als dritte Säule der Qualitätskriterien als unabdingbar angesehen (vgl. Deutsche Gesellschaft für Mentoring, 2014). [2]
Die Form des Mentoring als Programm ist kein originäres Instrument der Gleichstellung, wie zum Beispiel Frauenförderpläne oder Gender-Trainings. Der Ursprung ist durchaus männlich geprägt: Der griechischen Mythologie folgend vertraute Odysseus vor seiner Abreise die Beratung seines fast erwachsenen Sohnes Telemachos seinem Freund Mentor an. Diese Form der Nachwuchsförderung wird als informelles Mentoring bereits seit langer Zeit vornehmlich zwischen männlichen Führungskräften praktiziert. Der Auswahlprozess verläuft in diesen Verbindungen von Seiten des Mentors, der sich seine Nachfolge häufig aus strategischen Erwägungen heraus und nicht aufgrund einer bestimmten Qualifikation auswählt (vgl. Geser, 1998; Kurmeyer, 2012). Basierend auf den Erfolgen dieser männlich dominierten Praxis wurden Mentoring-Programme in den 1990er Jahren auch für Mädchen und Frauen konzipiert. Durch die Publikationen von Segerman-Peck (1991) und Hofmann-Lun, Schönfeld und Tschirner (1997) erreichten sie in Europa eine breite Öffentlichkeit. Erklärtes Ziel dieser neuen, strukturierten Mentoring-Programme im Rahmen der Gleichstellung war es, Bildungs- und Karriereverläufe entsprechend der individuellen Talente und Fähigkeiten verwirklichen zu können. In der Mädchenförderung setzte man es speziell in den so genannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) ein (vgl. Ziegler, Schirner, Schimke & Stoeger, 2010; DuBois, Holloway, Valentine & Cooper, 2002). Im Hochschulbereich wurden ebenfalls zahlreiche Mentoring-Projekte zur Förderung des weiblichen Wissenschaftsnachwuchses initiiert. Grundgedanke dieser Programme ist, dass sich Nachwuchsakademikerinnen ihren persönlichen Zielen folgend selbst eine Mentorin oder einen Mentor suchen. Während eines definierten Zeitraums arbeiten sie an ihrer Karriere, entwickeln Strategien und unternehmen erste Schritte in Richtung einer Führungsposition (vgl. Kurmeyer, 2012). [3]
Mentoring-Programme entfalten ihre Wirkung sowohl auf der individuellen, der organisationalen wie auf der gesellschaftlichen Ebene (vgl. Franzke, 2005). Im Gespräch über weibliche Berufsverläufe können beispielsweise Unzulänglichkeiten und Hindernisse in männlich geprägten Karrierewegen erkannt, thematisiert und alternative Wege für die weiblichen Mentees gefunden werden (vgl. Schell-Kiehl, 2008; Kurmeyer, 2012). So kann es auch zu einer Sensibilisierung gegenüber geschlechtsspezifischen Vulnerabilitäten kommen, und vorhandene, positive weibliche Selbsteinschätzungen (vgl. Allmendinger, 2010) können gegen bestehende traditionelle Rollenzuweisungen verteidigt werden. Insbesondere unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit können in Mentoring-Programmen entscheidende Grundsteine für neue Strukturen gelegt werden: geschlechtsspezifische Mentalitätsmuster und daraus abgeleitete Verhaltenserwartungen (vgl. Wippermann, 2010) können identifiziert und revidiert werden. Eine unmittelbare Sensibilisierung von Mentorinnen und Mentoren für die Problematik der Dichotomien gesellschaftlicher Erwartungshaltungen und subjektiver Biographiegestaltung, insbesondere von Mädchen und Frauen, wirkt sich langfristig auf die konkrete, flexiblere Arbeitsplatzgestaltung in den so genannten MINT-Bereichen und in den Führungspositionen aus (vgl. Franzke, 2005). Ein besonderes Dilemma in der Evaluation von Mentoring-Programmen erwächst aus der langfristigen gesellschaftspolitischen Zielsetzung. In einer Vielzahl von Studien wurden die unmittelbaren Wirkungen der Programme untersucht (vgl. DuBois, Holloway, Valentine & Cooper, 2002; Allen, Eby, Poteet, Lentz & Lima, 2004; Allen, Eby, , O’Brien & Lentz, 2008; Eby, Allen, Evans, Ng & DuBois, 2008; DuBois, Portillo, Rhodes, Silverthorn & Valentine, 2011; Löther, 2003; Kaiser-Belz, 2008). Eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse in den MINT-Fächern oder in Führungspositionen kann jedoch nur schwer monokausal auf den Einsatz von Mentoring-Programmen zurückgeführt werden. Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Bezug auf eine gleiche Teilhabe von Frauen und Männern an entscheidungsrelevanten Funktionen durch Mentoring können erst durch differenzierte Langzeitstudien nachgewiesen werden. [4]