In der Väterforschung wird begrifflich zwischen Vaterschaft (fatherhood) und Vatersein (fathering) unterschieden. Während Vatersein die Praxis des Handelns von Vätern beschreibt, bezeichnet der Terminus Vaterschaft Rechte, Pflichten, Verantwortung und Status von Vätern in einer Gesellschaft (Hobson & Morgan, 2002, S. 10–11). Der Begriff Vaterschaft bezeichnet also zugleich die soziale Rolle von Vätern sowie eine Institution, die von gesellschaftlichen Normen und Erwartungen an Väter geprägt ist (LaRossa, 1997). Die Institution Vaterschaft ist dabei an das Verhältnis der Geschlechter gebunden. Dies gilt auch für die juristische Definition von Vaterschaft, denn rechtlich gilt in Deutschland derjenige als Vater, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist (Bürgerliches Gesetzbuch [BGB], § 1592). Eine soziale Beziehung kann hier also den Ausschlag über die rechtliche Zuordnung der Vaterschaft geben (Wapler, 2016, S. 61). Bei unverheirateten Eltern wird die Vaterschaft entweder durch eine urkundliche Vaterschaftsanerkennung geklärt, die mit Zustimmung der Mutter abgegeben wird, oder durch eine gerichtliche Vaterschaftsfeststellung (Bürgerliches Gesetzbuch [BGB], § 1626a). In Anlehnung an die Familiendefinition des Siebten Familienberichts der Bundesregierung (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [BMFSFJ], 2006, S. XXIV) kann davon ausgegangen werden, dass sich Vaterschaft immer dann konstituiert, wenn Männer, ob alleine oder zu zweit, heterosexuell oder homosexuell, cis- oder transgeschlechtlich, dauerhaft und generationsübergreifend Sorgearbeit (Care) für Kinder leisten. Damit umfasst der Terminus Vaterschaft auch alle Formen sozialer Vaterschaft, wie beispielsweise in Familien mit Adoptiv-, Pflege- und Stiefkindern, sowie gleichgeschlechtliche oder Trans*Männer, die mit Kindern leben. [1]
Für die Gender Studies ist die Auseinandersetzung mit Vaterschaft, Mutterschaft und Familie höchst relevant, denn bei der Analyse dieser Institutionen zeigt sich deutlich, inwiefern die Geschlechter über gleiche Verwirklichungschancen im Leben verfügen (BMFSFJ, 2017, S. 77). Familie ist ein Ort, an dem Geschlechterungleichheiten reproduziert werden. Dies geschieht insbesondere durch die Zuweisung von Sorgetätigkeiten für Kinder und pflegebedürftige Angehörige an Frauen. Regina Becker-Schmidt spricht von einer „doppelten Vergesellschaftung“ (Becker-Schmidt, 2004, S. 62) von Frauen: In ihren Lebensverläufen orientieren sie sich sowohl an bezahlter Erwerbsarbeit als auch an unbezahlter Sorgearbeit in der Familie. Dies führt jedoch bei Frauen, die sich für ein Leben mit Kindern entscheiden, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt häufig zu Benachteiligungen hinsichtlich Einkommens- und Aufstiegsperspektiven. Von Vätern wird hingegen erwartet, dass sie die Funktion des Haupternährers für die Familie übernehmen. Auch wenn die Bedeutung, die dem Modell des männlichen Ernährers und der weiblichen Sorgeverantwortlichen zukommt, in Abhängigkeit der jeweiligen wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen eines Landes variiert (Adler & Lenz, 2016), kommt Vätern bei der Sorgearbeit für Kinder zumeist die Rolle eines ‚Assistenten‘ der Mutter zu (Possinger, 2017; Lupton & Barclay, 1997). In diesem Zusammenhang ist auch auf das Phänomen des „maternal gatekeeping“ (Allen & Hawkins, 1999, S. 199) zu verweisen, bei dem Mütter die Sorgearbeit und den Haushalt als ihr ‚Revier‘ ansehen und die Kontrolle darüber ausüben, in welchem Ausmaß ihre Partner sich hierbei einbringen dürfen (Schoppe-Sullivan et al., 2015). [2]
Entsprechend des gesellschaftlichen Wandels unterliegen auch Vater- und Mutterschaft stetigen historischen Veränderungen, denn die Zuweisung von Sorgetätigkeiten an Frauen ist nicht naturgegeben. So kann noch in der vorindustriellen Zeit bis in das ausgehende 18. Jahrhundert eine Verknüpfung von Männlichkeit und Fürsorgearbeit festgestellt werden, infolgedessen sich Väter aufgefordert sahen, sich an der Erziehung der Kinder zu beteiligen (Gillis, 1997). Dies wurde dadurch begünstigt, dass der Privathaushalt in der vorindustriellen Agrargesellschaft nicht nur den Wohnort, sondern auch den zentralen Arbeitsplatz der Familie darstellte. Erst die Industrialisierung und die Trennung von Arbeitsplatz und Wohnort bedingte für erwerbstätige Männer einen Alltag fern von der Familie, der ihnen im Laufe der Zeit die Funktion als Ernährer zuwies (Knijn, 1995). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde vor allem in Westdeutschland ein heteronormatives und ehezentriertes Modell des männlichen Familienernährers und der Hausfrau durch eine konservative Familienpolitik gefördert. Allerdings profitierten von dieser Förderung nur privilegierte Ehepaare, denn kriegsbedingt handelte es sich bei vielen Familienmodellen um Alleinerziehende (Peuckert, 2004). Während in der ehemaligen DDR die eigenständige Existenzsicherung von Frauen seit den 1950er Jahren erwartet wurde, kann in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren von einer allmählichen Erosion des männlichen Ernährermodells gesprochen werden. Insbesondere der Bildungsaufstieg von Frauen sowie Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, die eine bis heute andauernde Verlagerung vom produzierenden Gewerbe hin zu Dienstleistungen induzierten, begünstigten Veränderungen im Geschlechterverhältnis (Krüger, 2006). Seitdem verliert die Funktion des Vaters als alleiniger Ernährer der Familie an Bedeutung. [3]
Internationalen Studien zufolge werden in Europa und den USA tradierte Leitbilder von Vaterschaft zunehmend abgelehnt (Aumann, Galinsky & Matos, 2011; Adler & Lenz, 2016; Nordenmark, 2018). Die skandinavischen Länder waren die ersten, die teilweise bereits in den 1990er Jahren Elternzeitmöglichkeiten für Väter einführten (Haas & Hwang, 2008; Kvande & Brandth, 2017). In Deutschland bevorzugen 60 % der Eltern mit Kindern unter drei Jahren Modelle partnerschaftlicher Vereinbarkeit, bei der sich beide Eltern Erwerbs- und Sorgearbeit gleichermaßen teilen (Müller, Neumann & Wrohlich, 2013). Väter wünschen sich mehrheitlich, ebenso intensiv in die Erziehung und Pflege von Kindern einbezogen zu werden, wie Mütter (Li, Zerle-Elsäßer, Entleitner-Phleps & Schier, 2015). Dies scheint insbesondere mit Blick auf die in den Familien lebenden Kinder eine positive Entwicklung darzustellen, denn Langzeitstudien zeigen, dass sich das Engagement von Vätern für Kinder nicht nur positiv auf die Vater-Kind-Bindung auswirken kann, sondern auch auf die kognitive Förderung, auf das physische und psychische Wohlbefinden sowie auf den Bildungserfolg der Kinder (Snarey, 1993; Lamb, 2010). Leitbilder ‚aktiver‘ oder ‚neuer‘ Vaterschaft kommen auch durch die steigende Nutzung des in Deutschland seit 2007 bestehenden Elterngeldes durch Väter zum Ausdruck. Mittlerweile nimmt mehr als jeder dritte Vater eine eigene Elterngeldphase in den ersten Lebensmonaten seines Kindes in Anspruch; in manchen Regionen Sachsens und Bayerns sogar jeder zweite Vater (Peltz, Streckenbach, Müller, Possinger & Thiessen, 2017). [4]
Studien zur Arbeitsteilung von Elternpaaren konstatieren eine Lücke zwischen fatherhood, d. h. den Einstellungen zu Vaterschaft, und dem fathering, d. h. der sozialen Praxis, denn fast immer kommt es bei heterosexuellen Paaren nach der Geburt zu einer Traditionalisierung der Arbeitsteilung (Helfferich, 2017). So sind Mütter entweder nicht oder in Teilzeit erwerbstätig, während sich die meist in Vollzeit arbeitenden Väter darauf konzentrieren, den Hauptanteil des Familieneinkommens zu erwirtschaften (Li et al., 2015; Boll, Rossen & Wolf, 2016). Die Hauptzuständigkeit der Sorgearbeit liegt weiterhin bei den Müttern. Dies gilt auch dann, wenn diese ebenfalls in Vollzeit erwerbstätig sind. Auch das Elterngeld mit seinen ‚Vätermonaten‘ hat diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung von Eltern nicht grundlegend verändern können. Zudem nehmen 80 % der Väter, die Elterngeld beziehen, lediglich eine zweimonatige Auszeit in Anspruch und sind dabei oft nur ‚Assistenten‘ der Partnerin (Possinger, 2013). Die familiale Arbeitsteilung ist damit durch den „Masterstatus Geschlecht“ (Krüger & Levy, 2000, S. 163) strukturiert. [5]
Zur Erklärung, warum die Arbeitsteilung zwischen Müttern und Vätern relativ veränderungsresistent ist, existiert eine Vielzahl von Ansätzen, die meist miteinander verschränkt betrachtet werden (Possinger & Müller, 2018). So gilt es familienökonomisch aufgrund des höheren Einkommens von Vätern als nicht rational, sich ebenso in der Familie zu engagieren wie die Partnerin. Andere Ansätze betonen, dass die väterliche Beteiligung abhängig von Aushandlungen zwischen den Eltern ist, wobei aufgrund von traditionellen Geschlechternormen Frauen in der Regel mehr Sorgekompetenz zugeschrieben wird als Männern. Hinzu kommen wohlfahrtsstaatliche Rahmenbedingungen (z. B. das Ehegattensplitting) sowie Erwartungen des Arbeitsmarktes an Verfügbarkeit und Flexibilität, die traditionelle Modelle geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung begünstigen (Possinger, 2017). [6]
In den letzten 15 Jahren – unter anderem bedingt durch die Einführung des Elterngelds – ist in Deutschland die Zahl der wissenschaftlichen Studien zu Vätern und Vaterschaft stark angestiegen (Neumann & Meuser, 2017). Bislang konzentrierte sich die Forschung auf biologische Väter innerhalb heterosexueller Zweierbeziehungen (Jurczyk, 2017). Somit besteht das Forschungsdesiderat, auch nicht-heterosexuelle Väter sowie Formen sozialer Vaterschaft stärker in den Blick zu nehmen (z. B. Rupp, 2009). Zudem zeichnet sich die Forschung durch einen ausgeprägten weißen Mittelschichtsbias aus, sodass intersektionale Perspektiven, wie etwa Väter mit Behinderungen (Behrisch, 2013), noch nicht ausreichend Berücksichtigung finden. Auch die Auswirkungen neuer Reproduktionstechnologien (Bergold, Buschner, Mayer Lewis & Mühling, 2017) sowie der Digitalisierung auf Vaterschaft (Ahlers et al., 2018) gilt es künftig zu erforschen. [7]